Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwingen des Todes

Die Schwingen des Todes

Titel: Die Schwingen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
Vom Netzwerk:
können, dass Jonathan etwas verbarg. Aber jetzt konnte er ihn nicht zur Rede stellen, besonders weil er ihm gestern auch nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Vielleicht ergab sich ja später noch eine Gelegenheit.
    Kurz danach stand Decker vor einem alten, gebrochenen Mann. Mr. Lieber sah Decker an, schien ihn aber nicht zu erkennen. Aber als er dann Jonathan neben diesem fremden Mann im braunen Anzug erblickte, schaltete er und nickte Decker zu. Decker tat es ihm gleich.
    Lieber war robuster gebaut, als Decker erwartet hatte - er besaß breite Schultern und ein breites Gesicht mit einer großen Nase und dicken, wulstigen Lippen. Früher war sein Kinn wahrscheinlich kantig gewesen, aber jetzt verdeckten es seine Hängebacken. Seine Augen unter den schweren Lidern änderten i hre Farbe je nach Licht und Atmosphäre: ein anatomisches Stimmungsbarometer.
    Chaim erhob sich; seine dunklen Augen funkelten zornig. Decker fragte sich, was er verbrochen hatte, dass dieser Mann ihn so hasste. Schließlich hatte er seiner Tochter doch nichts getan - im Gegenteil. Er fühlte sich miserabel, weil er sein Geheimnis nicht preisgeben durfte, und einen Moment lang wollte er seinem inneren Drang nachgeben und Chaim die wunderbare Neuigkeit erzählen. Aber dann stellte er sich die daraus folgenden Konsequenzen vor und ließ es bleiben.
    »Ich dachte, Sie wären schon weg«, sagte Chaim.
    »Heute Abend«, entgegnete Jonathan.
    »Warum erst heute Abend? Was wollen Sie hier noch?«
    Decker schob sein Kinn vor. »Rina wollte zum Begräbnis gehen. Und ich musste einige Dinge erledigen, Rabbi Lieber. Man verwickelt andere nicht in seine Angelegenheiten und geht dann einfach, ohne sich zu bedanken.«
    »Wollen Sie mir Vorhaltungen machen, weil ich mich nicht bei Ihnen bedankt habe?« »Chaim.«, begann Jonathan.
    Doch Decker stoppte ihn. »Nein, Rabbi Lieber. Das meinte ich nicht. Ich meine die Polizisten, die mir geholfen haben. Ich möchte auch weiterhin ein gutes Verhältnis zu ihnen aufrechterhalten.«
    »Na, über die Teufelskerle von New York müssen Sie sich keine Sorgen machen. Sie waren schließlich keine große Hilfe, oder?«
    »Es tut mir Leid. Das alles ist sicher sehr schmerzhaft für Sie.«
    »Furchtbar schmerzlich.«
    Aber er klang eher wütend als verzweifelt. Seine Augen verengten sich, und sein Körper nahm eine feindselige Haltung e in. »Sie wissen gar nichts, Lieutenant. Fahren Sie nach Hause.«
    »Chaim!«, schalt eine raue Stimme. »Es pass nischt. Vas machst-du? Setze dich!«
    »Aber Papa.«
    »Nischt gebest mir del Papa. Setze dich nun. Nischt drey mir a kop.«
    Widerwillig hockte Chaim sich wieder auf sein Kissen. Mr. Lieber winkte Decker zu einem Stuhl. »Setzen Sie sich, Lieutenant. Möchten Sie Tee?«
    »Nein, danke. Mr. Lieber. Sie vielleicht?«
    »Nein, ich möchte im Moment gar nichts.« Er sah zu seinem Schwiegersohn. »Jonathan, hol ihm Tee.«
    »Wirklich, ich.« Decker unterbrach sich. »Ja, gern. Danke.«
    »Wenn du schon stehst, dann bring Papa auch etwas!«, rief Raisie.
    »Ich möchte keinen.«
    »Papa, du musst etwas trinken!«
    »Ich trinke nur Tee, wenn Sie auch einen nehmen«, meinte Decker.
    Der alte Mann nickte.
    Jonathan seufzte schwer und ging in die Küche.
    Der alte Mann lehnte sich vor. »Entschuldigen Sie Chaims Benehmen. Er ist schrecklich angespannt.«
    »Natürlich, Mr. Lieber. Sicher hat meine Anwesenheit alles nur noch schlimmer gemacht. Ich wollte Ihnen nur mein Mitgefühl aussprechen. Dann werde ich gehen.«
    »Er hofft auf ein Wunder. Dann muss er zum Abischter beten.«
    »Es ist besser, bei HaSchem Zuflucht zu suchen, als sich auf Menschen zu verlassen«, zitierte Decker aus dem HallelGottesdienst.
    »Ja, so ist es.« Lieber traten Tränen in die Augen. »Es ist so schrecklich.«
    »Ja. Es tut mir sehr Leid.«
    »Furchtbar.« Lieber wischte sich über die Augen. »Und reisen Sie morgen ab?«
    »Heute Abend. Vielleicht auch erst morgen. Mal sehen, was passiert.«
    Donatti hatte ihm gesagt, er solle auf seinen Anruf warten, aber wie lange konnte Decker sich noch gedulden?
    »Gestern, bei der hespid, habe ich mit Leuten gesprochen, die mit Ephraim gearbeitet haben. Und mit anderen, die Ihren Sohn kannten. Ephraim muss ein gutes Herz gehabt haben.«
    »Mit wem hast du gesprochen?«, wollte Chaim wissen.
    »Mit einer Frau namens Luisa.«
    »Ephraim hat ihr Geld gegeben«, spottete Chaim. »Natürlich hat sie ihn gemocht.« »Seit wann ist zedaka etwas Schlimmes?«, fragte Raisie ihn.

Weitere Kostenlose Bücher