Die Séance
ihren Cousin zu Hilfe rufen musste. Aber besser das als irgendwas Blödes zu tun. Wie zum Beispiel ein Haus zu betreten, in dem ein Mörder warten könnte.
Dan schaffte es in Rekordzeit. Sie erhob sich von den Stufen, als er in die Einfahrt fuhr und ausstieg. “Dann schauen wir mal nach, Kleine”, sagte er, marschierte an ihr vorbei und ins Haus. Sie folgte, aber Dan war zu schnell. Er drehte eine Runde im Erdgeschoss, und sie holte ihn erst ein, als er die Treppe hocheilte.
Unten war niemand, und nicht ein Geräusch – außer den alten Holzplatten, die unter ihren Füßen knackten – war zu hören.
Im Flur oben hielt Dan an, Hände in die Hüften gestemmt, und starrte sie an. “Vielleicht solltest du den alten Kasten verkaufen”, sagte er sanft.
“Keine Chance”, sagte sie entschlossen. “Granma hat ihn mir vermacht, ich gehe hier nicht weg.”
Mit einem Stöhnen checkte er die Schlafzimmer, eins nach dem anderen, dann zog er die Leiter zum Dachboden heraus. Es war kein besonders gruseliger Dachboden, oft benutzt und gut erleuchtet. Ein Schaukelstuhl stand vor dem kleinen Fenster, das jetzt den Blick auf ein Nachbargrundstück frei gab, früher jedoch auf einen beinahe malerischen, sanft ansteigenden grünen Hügel. Es gab Truhen und Kisten, ein altes Sofa und einen dick gepolsterten Sessel, und dazwischen sogar einen geflochtenen Teppich, damit sich Leute auf den Boden setzen und miteinander Spiele spielen konnten.
Es war immer ein Haus gewesen, das von einer großen Familie bewohnt wurde.
Aber jetzt gab es nicht die leiseste Andeutung für die Präsenz eines Fremden oder irgendwas, das eigentlich nicht hierhergehörte.
“Vielleicht im Keller”, sagte sie.
Dan verdrehte ungeduldig die Augen. “Ganz bestimmt”, nickte er, und sie stiegen die Treppen wieder hinab.
Die Tür zum Keller befand sich in der Küche. Christina knipste das Licht an, und sie gingen runter in einen weiteren erleuchteten, gemütlichen Raum. Ein Pingpongtisch stand in der Mitte, umgeben von Sesseln. In einer Ecke stand eine Bar, den Waschraum erreichte man durch eine Tür schräg gegenüber.
Und sonst war da nichts Besonderes.
“Okay?”, fragte Dan.
“Ja, vielen Dank”, sagte sie verlegen. “Tut … äh … tut mir leid, dass ich dich gestört habe.”
Er legte ihr einen Arm um die Schulter, zog sie zu sich heran und tätschelte ihr sanft den Kopf. “Das macht doch überhaupt nichts.”
“Danke”, sagte sie noch einmal.
“Und … na ja, du lebst hier ganz allein. Schon richtig, dass du vorsichtig bist. Ruf jederzeit an, Christie. Ich komme sofort.”
Wieder oben, fragte sie, ob er etwas trinken oder essen wollte.
“Nein, danke. Ich gehe besser wieder. Ich hab einen kleinen Extrajob im Park und muss noch zu einer Kostümprobe. Ich bin der Märchenerzähler – verkleidet als Sensemann, kapiert? Willst du kommen und mich bewundern, wie gekonnt ich den Kindern Schauergeschichten vorlese?”
“Na klar”, sagte sie.
“Ich ruf dich nachher an und gebe dir die Termine durch.”
“Klasse. Und noch mal danke.”
Sie brachte ihn zur Tür. Er verabschiedete sich mit einem Winken, sie schloss sofort die Tür ab und sagte sich, dass es vielleicht ganz normal war, sich in einem Haus ungemütlich zu fühlen, in dem sie bisher nicht wirklich gelebt hatte und in dem sie nie wirklich allein gewesen war.
Sie ging in den Salon, setzte sich ans Klavier und beschloss einfach ein bisschen zu improvisieren.
Da standen Noten auf ihrem Notenhalter, bemerkte sie plötzlich.
Sie verzog das Gesicht. Sie hatte dort keine Noten platziert. Oder doch?
Nein, verdammt, das wusste sie genau.
Na toll. Wer bricht in ein Haus ein, um ihr Noten auf das Klavier zu stellen?
Sie sah sich im Raum um. Sie war nicht gerade der Typ für irgendwelche Zwangsneurosen, aber …
Dinge waren bewegt worden.
Die Veränderungen waren ganz geringfügig. Ein Stuhl, der ein kleines bisschen anders stand. Die Vorhänge nur ein ganz klein wenig weiter aufgezogen als vorher.
Ihr Herz begann wild zu hämmern. Beinahe wäre sie wieder aufgesprungen und aus dem Haus gerannt.
Sie biss die Zähne zusammen, musste plötzlich gegen Tränen ankämpfen.
Nein.
Sie bildete sich das alles bloß ein. Emotionen, die aus ihrem Unterbewusstsein aufstiegen und ihren Blick auf die Welt beeinflussten. Sie hatte in ihrem Leben schon viel zu viele Menschen verloren, die Tatsache war ja wohl nicht abzustreiten.
“Ich laufe nicht wieder davon”, sagte sie leise zu
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