Die Séance
Kopf in der Hoffnung, wieder klar sehen zu können – und dass er danach verschwunden wäre. “Du bist nicht da. Du kannst gar nicht da sein”, sagte sie verzweifelt.
Er erhob sich. “Ich brauche deine Hilfe.”
Sie holte tief Luft, starrte ihn an. “Wegen dieser Morde.”
“Ich bin offensichtlich nicht der Mörder.”
“Und was hat das damit zu tun, dass du hier bist, in meinem Haus?”
“Du bist … einzigartig.”
“Ach? Tja, ich will aber nicht einzigartig sein.”
“Du hast diese Gabe”, sagte er.
“Ich will überhaupt keine derartigen Begabungen haben”, versicherte sie ihm.
“Zu dumm. Du hast sie nun mal, ob du willst oder nicht”, meinte er.
“Und was soll ich deiner Ansicht nach tun?”, fragte sie ihn.
Er hob beide Hände. “Ich bin unschuldig.”
Ihr lief es kalt den Rücken runter. “Und wer ist dann der Interstate-Killer?”, fragte sie.
Er starrte sie frustriert an. “Ich weiß es nicht. Aber ich schwöre dir, da draußen ist kein Nachahmungstäter unterwegs. Der Mörder, der vor zwölf Jahren zugeschlagen hat, ist wieder aktiv.”
Sie schluckte. “Ich bin verrückt geworden. Das ist die einzige Erklärung.”
Er verlor langsam die Geduld. “Nein, das ist es nicht.”
“Können normale Leute Geister sehen?”, rief sie aus.
“Definiere, was normal ist”, sagte er.
Sie stöhnte irritiert. Er war überhaupt nicht da. Sie bildete sich das nur ein, so wie sie sich damals ihren Großvater ohne jeden Zweifel nur eingebildet hatte.
Sie drehte ihm den Rücken zu und ging durch den Flur zur Küche, wo sie sich einen Kaffee eingoss. Als sie sich wieder umdrehte, erstarrte sie.
Er war ihr in die Küche gefolgt, lehnte an der Anrichte.
“Du sagst, du bist hier, weil du unschuldig bist, und ich soll dir irgendwie helfen”, sagte sie. “Also, da bist du am falschen Ort. Ich kann dir nicht helfen. Ich komponiere Jingles für Werbespots. Ich bin kein Cop, und ich kommuniziere nicht mit Toten. Wir sind gar nicht so weit weg von Cassadaga. Das ist ein reizendes kleines Städtchen, das von Spiritualisten gegründet worden ist. Wenn du da drüben mal auftauchst, wird es ganz bestimmt jede Menge Leute geben, die ganz scharf drauf sind, mit dir zu reden.”
Er schüttelte den Kopf. “Kann ich nicht.”
“Wieso nicht?”
Er schüttelte noch einmal den Kopf. “Weiß ich auch nicht. Vielleicht hat es was mit dieser Blume zu tun. Du hast deinen Großvater gesehen, weißt du noch, und mit ihm sprechen können. Das war ein toller Typ.”
“Du kanntest meinen Großvater?”, fragte sie skeptisch.
Er grinste. “Wir haben hin und wieder in einem Donut-Laden am International Drive Kaffee getrunken.”
“Und wieso weiß ich nichts davon?”, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. “Warum hättest du davon wissen sollen? Wir sind nicht gerade die besten Freunde gewesen oder so. Wir haben bloß manchmal morgens ein bisschen bei Donuts und Kaffee geschwatzt.”
Sie musterte ihn scharf. Er wirkte ganz real. Wie aus Fleisch und Blut.
Das konnte er aber nicht sein. Andererseits, die Alternative war genauso lachhaft. Warum sollte jemand, der vorgibt, Beau Kidd zu sein, bei ihr einbrechen? Es nicht nur vorgeben, sondern auch exakt so aussehen.
Zugegeben, das hier war Orlando im Oktober. Überall Kostüme und Masken. Aber wie konnte jemand sein Gesicht genauso aussehen lassen wie ein Foto aus einer Zeitung?
“Ich gehe jetzt mal raus. Wenn ich zurückkomme, wirst du weg sein.”
“Aber das werde ich nicht.”
“Wenn meine Cousins dahinterstecken – wenn das irgendein blöder Witz ist oder etwas noch Schlimmeres –, dann solltest du besser verschwunden sein, wenn ich zurückkomme.”
Starke Worte. Wenn er ein Mörder sein sollte, dann hatte sie ihn jetzt ganz eindeutig provoziert.
“Verstehst du denn nicht?”, fragte er traurig. “Ich kann nicht verschwinden. Und ich brauche deine Hilfe.”
“Verstehst du nicht? Ich kann dir nicht helfen.”
“Aber sicher kannst du das.”
“Ich werde dieses verdammte Ouija-Brett verbrennen.”
Er lächelte. Traurig. “Das wird nichts nutzen”, sagte er zu ihr. Plötzlich wurde sein Grinsen breit und wirkte völlig echt. “Also, was soll’s denn sein? Bin ich ein seltsamer Eindringling, den deine hinterhältigen Cousins in jemanden verwandelt haben, der genau wie Beau Kidd aussieht und der dich aufs Glatteis führen soll? Oder bin ich ein Geist, der an dieses Haus gefesselt ist, weil du hier lebst, und der nicht einfach
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