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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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können. Schnell verließ ich sie; vor der Tür, durch die ich hineingehen sollte, hätte ich gern den Kopf gewendet, aber ich tat es nicht. Ich trat in mein neues Büro. Als ich die Tür zuzog, schien es mir, als löschte ich mit schwarzer Tinte ein falsches Wort aus. Ich habe einen Dämon im Hirn, der die Zunge bei allem herausstreckt, was schön und gut an mir ist.
    Anna steht unvermittelt auf, räumt die Kaffeetassen zusammen, hat einen Knoten im Hals. Sobald du die Fünfzig überschreitest, hast du keine Chance mehr. Glück erscheint dir höchstens lächerlich und peinlich. Sie bringt die Tassen in die Küche, stellt sie ins Waschbecken. Als sie ihn das letzte Mal traf, sagte er zu mir, er trage mich immer in seinem Herzen, ich würde es vorziehen, er hätte »in Gedanken« gesagt. Sie kommt zurück ins Zimmer, willst du, dass wir aus García Lorca lesen, oder soll ich dir die Karten legen? Gut, aber ich sage dir gleich, ich besitze keine Tarotkarten, ich lege dir die ganz normalen, die ich noch vom Pokern habe. Ich weiß nicht, habe ich dir erzählt, dass bei uns im Haus sehr oft Poker gespielt wurde, Virgil kam, Marius, Nelu Ivan, ein in den Achtzigerjahren sehr angesehener Prosaschriftsteller. Ich habe lange nichts mehr von ihm gehört, er hatte eine wunderschöne Frau, Geta, ich mochte sie sehr, sie war blitzgescheit und scharfzüngig, auch Terry kam, mit Radu, sie hatte sich damals noch nicht von ihm scheiden lassen. Der Mann rutscht auf dem Stuhl herum, nicht immer sind ihre Geschichten interessant, es hat den Anschein, als rede sie mit sich selbst. Der grüne Blick ist ungeduldig, er fokussiert den Stapel Spielkarten. Auf der Rückseite lässt sich noch ein Blumenmuster erkennen, das durch den häufigen Gebrauch abgenutzt ist. Wenn du nicht daran glaubst, geht es nicht in Erfüllung, eine Wahrsagerin hat mich gewarnt. Anna besitzt eine verdächtige Fingerfertigkeit beim Mischen der kleinen, glänzenden Kartonrechtecke. Als wäre sie eine alte Zigeunerin. Der grüne Blick hat sich an ihrem Körper die Hände ausgesucht, ein geübtes Auge kann an ihnen die bereits leicht verformten Gelenke ausmachen. Annabewegt ihre Finger graziös und unbefangen, in dem Glauben, diese kleine Unförmigkeit sei noch nicht zu sehen. Sie reicht ihm den Kartenstapel und sagt, er solle mit der linken Hand abheben, der Herzhand. Er gehorcht. Sie verteilt die Karten auf ein enges Rechteck und zählt, wobei sie mit dem Finger auf jede Figur tippt: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, Herzdame, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, in Haus und Bett, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, jemandes Gedanken im Kreuzblatt mit Hoffnung und Liebe, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, bald eine Nachricht von der Kreuzdame, sie ist eine Frau im fortgeschrittenen Alter, siehst du, zwischen Liebe und Reichtum, hier, und das Kreuz-Ass und das Pik-Ass stehen auf dem Kopf, diese Frau ist sehr verärgert, mal sehen warum, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, wegen eines langen Weges, hier die Pik-Zehn, das ist der lange Weg, neben der Pik-Sieben bedeutet sie Trennung. Warte, ich lege sie dir noch mal. Nimm jetzt mit der Rechten ab. Er hebt die Karten ab, der grüne Blick wird immer neugieriger, die Pupillen weiten sich. Sie sucht seine Augen, will sie zu sich heraufziehen. In ihnen ist eine Unruhe, die sie wärmt. Du selbst, im Haus, Gegenwart, Zukunft, Überraschung, du selbst, Herzdame, hier dein Gedanke, den lässt sie hinter sich und gibt dir Widerworte, im Haus, die Versöhnung im Bett, Gegenwart, eine gute Nachricht, was deinen Reichtum betrifft, es gelingt dir, was du dir in den Kopf gesetzt hast, Zukunft, wieder die Kreuzdame, alle Farben, sie hat dich im Herzen und in Gedanken, Überraschung, ein Geldgeschenk in Kürze. Los, wir versuchen es noch mal. Sie mischt die Karten wieder, schlägt ein Kreuz auf dem Rücken des Stapels, blästdarauf, vierundzwanzig Blätter wie vierundzwanzig Brüder, Wahres zu wissen, Wahres zu lesen, geht um, zieht herum, landauf, landab, landaus, landein, schenk Wahrheit ein, wie Silber rein, und jetzt blas darauf und heb mit der linken Hand ab, wer an mich denkt, wer mich liebt, was mir ins Haus steht, was ich nicht kenne, was sein wird, was sicher ist, mal sehen, wer an dich denkt, Herzdame, sie zweifelt an ihrem Reichtum, das muss deine Frau sein, aber das geht vorbei, hier die Herz-Zehn, sie bedeutet Glück, wer dich liebt, wieder die Kreuz-Dame, mit Schaden und

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