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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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nehmen und ihn mir um den Hals legen wie eine warme Kompresse und damit schlafen gehen. Sollte das Liebe sein, ich will dieses Wort nicht einmal in Gedanken aussprechen, denn wäre es so, ich verlöre seinen grünen Blick für immer. Ich erinnere mich, dass auch Terry einmal zu mir gesagt hatte, jede Liebe sei zugleich wirklich und erfunden, denn wäre sie nur wirklich, wäre sie animalisch. Terry war verwirrend und unvorhersehbar. Manchmal warenihre Bemerkungen von einer großen Feinheit, sie erhaschte das Unaussprechliche, und ihre Gedanken erreichten dann eine gewisse Transzendenz. An einige kann ich mich noch erinnern. So hatte sie zum Beispiel gesagt, dass auf uns allen die schwere Schuld laste, eben dann zu kommen, wenn ein anderer gehe. Ich glaube, sie hatte das Bedürfnis, ein Geständnis abzulegen, der Sieger ist schuldig, hatte sie gesagt, und ich hatte gedacht, dass sie der Sieger sei und etwas sie dazu bewege, sich diese Schuld im Voraus einzugestehen. Oder ein anderes Mal, als wir an einem Oktoberabend im Botanischen Garten spazieren gingen, hatte sie gesagte: Eine einzige Sonne verspricht uns eine einzige Dämmerung. Ich werde nie erfahren, wann sie aufrichtig war. Die Gefühle vermischten sich in ihr wie in einem Mörser. In solchen Augenblicken beneidete ich sie insgeheim, mir wurde bewusst, dass sie die größere Dichterin war, doch jedes Mal nach einem solchen Augenblick wendete sie das Blatt plötzlich um. Ich merkte, sie wollte ihre apollinischen Spuren verwischen, so wie man einen Schuh auszieht, der einen drückt. Dann warf sie sich verbissen in den weiten, lautstarken Kreislauf des alltäglichen Geredes. Nichts liebte sie mehr, als etwas aufzuschnappen und dann weiterzutratschen, sie kaute alle durch, Freunde und Feinde, wild durcheinander. Nun wechselte sie also zur Prosa, erzählte bildhaft, mitreißend, stieg in unsere balkanische Vorstadt hinab, zog alles nackt aus, war dabei nicht im Geringsten prüde, drang in Schlafzimmer vor, ohne an die Tür zu klopfen, und strahlte vor Freude, wenn sie etwas über andere zu erzählen hatte. Ihr größtes Vergnügen war es, über Schriftsteller herzuziehen. Und auch ich ließ mich von ihrer Leidenschaft anstecken.In der letzten Phase unserer Freundschaft fanden wir es am aufregendsten, eine Liebesgeschichte von allen Seiten auszuschlachten, in der es um eine sehr junge Frau, die an die Pforten der Literatur klopfte, und einen Dichter ging, den alle für seine erhabene und traurige Art liebten, in der er sich vom Leben hin und her zerren ließ. Sie hatte das Zeug zur Prosaschriftstellerin. Immer war es Terry, die das Gespräch eröffnete: Schau, wie sie ihn um den Finger wickelt, erst scharwenzelt sie um ihn herum, dann kratzt sie ihn wieder, das passt doch: Geh weg und komm her, bleib fort, gib mir mehr. Sie ist frivol. Ich kenne diese Sorte. Und der Dummkopf glotzt sie an wie eine Ikone. Sie weiß schon, wo sie hin will. Wenn sie merkt, er ist ausreichend gedemütigt, dann empfängt sie ihn wieder, um ihm im nächsten Augenblick doch noch einen Fußtritt zu verpassen. Sie weiß schon, dass er es mag, gequält zu werden. Wie alle romantischen Dichter braucht er die unglückliche Liebe. Sie verfolgt nur ihre Interessen. Sie benutzt ihn nur als Sprungbrett, um in die Literaturszene hineinzukommen, und vor allem, um sich Zugang zu den Verlagen zu verschaffen. Du bist ungerecht, du vergisst, dass ihr erster Ehemann Literaturkritiker war, also das fällt weg, du weißt genau, dass sie immer im Schriftstellerhaus war, dort hat sie ihn doch auch kennengelernt … Das ist kein Argument, da kommen viele ungerufen hin. Na gut, aber warum fragst du dich nie, wie eine so junge und attraktive Frau einen dermaßen ausgelaugten Mann aushält, nicht mehr lange, und er fällt ins Delirium tremens. So einen würdest du nicht mal einen Tag lang ertragen. Stimmt, aber dann hätte sie ihn nicht die ganze Zeit bedrängen müssen, bis sie die Wohnung endlich bekam, und dann … Was habtihr eigentlich alle, ihr seht alles immer nur von der hässlichen Seite, diese Einstimmigkeit, mit der ihr alles aburteilt, mit eurem perversen Denken zieht ihr alles in den Dreck, sogar das unschuldigste Gefühl … Du bringst mich zum Lachen, du bist genauso lächerlich wie ein barmherziger Samariter im Puff … Du kannst sagen, was du willst, aber ich weiß, wie ihre Liebesgeschichte anfing. Ich weiß, dass sie ihn geliebt hat. Sie wollte immerzu über ihn sprechen, du weißt, wie Verliebte

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