Die See Der Abenteuer
seufzte erleichtert auf. »Ach, das ist gut! Wirst du mit deinem Bart schlafen, Bill?«
»Ich denke ja. Er ist so fest angebracht, daß es ziemlich schmerzhaft sein wird, ihn wieder abzulösen. Wenn wir auf den Inseln sind, wo uns niemand sieht, werde ich ihn abnehmen. Gefällt dir mein schöner Bart denn nicht?«
»Nicht besonders«, bekannte Lucy. »Du kommst mir so fürchterlich fremd vor. Aber wenn ich deine Stimme höre, bin ich wieder beruhigt.«
»Na, dann mach die Augen zu, damit du keine Angst vor mir bekommst«, riet Bill ihr lachend. »Gute Nacht, Mädels! Ich bringe die Jungens noch in ihr Abteil. Morgen früh wecke ich euch. Dann ziehen wir uns an und gehen zum Frühstück in den Speisewagen.«
»Ich bin eigentlich noch hungrig«, sagte Philipp. »Wir haben zwar schon tüchtig zu Abend gegessen, aber das ist schon so lange her.«
»Warte, ich hole dir schnell ein paar belegte Brote und Bananen aus meinem Koffer«, sagte Bill. »Aber trödelt nicht zu lange, es ist schon spät.«
»Ach, es ist doch erst zehn.« Trotzdem gähnte Dina laut. Sogleich machte Kiki es ihr nach, und auf einmal fingen alle an zu gähnen.
Bill holte Brote und Bananen aus seinem Abteil. Dann sagte er den Mädchen gute Nacht und brachte Jack und Philipp in ihr ‘Schlafzimmer’. Die Kinder fanden alles sehr aufregend. Wie merkwürdig war es, sich in dem schwan-kenden Zug auszuziehen, der mit achtzig Stundenkilo-metern durch die Nacht brauste! Als sie im Bett lagen, lauschten sie noch eine Weile auf das Lied der über die Schienen dahineilenden Räder.
»Wir fahren weit, wir fahren weit«, hörte Lucy die Räder gleichmäßig rattern. Müde schloß sie die Augen, und bald wurde ihr das Rattern zum Schlaflied. »Wir fahren weit, wir fahren weit ...«
Trotz all der Aufregungen waren die vier Kinder bald fest eingeschlafen. Es ist nicht schwer zu erraten, wovon sie träumten. Blaugrünes Wasser, klar wie Kristall — zauberhafte, kleine Inseln — große, weiße Sommerwol-ken an einem weiten, blauen Himmel — und Vögel, Vögel, Vögel. »Wir fahren weit, wir fahren weit ...«
Das Meer, das Meer!
Am nächsten Morgen hatten sie schon die Hälfte der Reise hinter sich. Bill klopfte an die Wände seines Abteils, um die Kinder zu wecken. Rasch zogen sie sich an und stolperten hungrig durch die Gänge zum Speisewagen.
Jedesmal wenn sie an ein Verbindungsstück zwischen zwei Wagen kamen, griff Lucy ängstlich nach Bills Hand.
»Ich fürchte immer, der Zug könnte gerade dann aus-einandergehen, wenn ich auf dem Zwischenstück stehe«, erklärte sie ein wenig verlegen. Die anderen lachten sie aus. Aber Bill verstand Lucy sehr gut und führte sie behutsam über die gefährlichen Stellen.
Während des Frühstücks benahm Kiki sich sehr ungezogen. Erbost darüber, daß er nichts von den kleinen Marmeladeportionen abbekam, warf er krächzend mit Toaststücken um sich. Die angebotenen Sonnenblumenkerne wies er mit frechen Bemerkungen zurück. Und als er sah, daß die Mitreisenden über ihn lachten, trieb er es immer toller.
»Ruhe jetzt!« rief Bill endlich ärgerlich und versetzte ihm einen ziemlich unsanften Schlag auf den Schnabel. Da stürzte sich Kiki kreischend auf seinen Bart und zauste so heftig daran, daß ein Büschel Haare in seinem Schnabel zurückblieb. Rasch zog er sich mit seiner Beute unter den Tisch zurück und begann, nachdenklich vor sich hinmur-melnd, die einzelnen Haare zu sortieren. Es war ihm unverständlich, warum Bill plötzlich so etwas Merkwürdiges im Gesicht hatte.
»Laß ihn in Ruhe!« sagte Bill zu Jack, der seinen Liebling unter dem Tisch hervorholen wollte. »Nun ist er wenigstens für eine Weile beschäftigt.« Besorgt rieb er sich das Kinn. »Sehe ich sehr gerupft aus?«
»Ach, das fällt gar nicht auf«, beruhigte ihn Jack. »Kiki ist unterwegs immer so aufgeregt. Am schlimmsten ist es, wenn ich von der Schule nach Hause fahre. Entweder ahmt er die Pfeife des Stationsvorstehers nach, oder er sagt zu allen Leuten im Abteil, sie sollen sich die Nase putzen und die Füße abwischen. Und wenn der Zug in den Tunnel fährt, kreischt er so furchtbar, daß man sich die Ohren zuhalten muß.«
»Aber lieb ist er doch«, verteidigte Lucy ihren Kameraden. Und sie erwähnte kein Wort davon, daß er gerade in diesem Augenblick ihre Schuhsenkel aufmachte und aus den Schuhen zog.
Die Reise dauerte sehr lange. Auf einem großen, belebten Bahnhof mußten sie umsteigen. Der Zug, in den sie nun stiegen, war nicht
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