Die See des Schicksaals
auf. Elric sah, daß das Schiff durch rostfarbenes Wasser glitt. Seltsame Lichter schimmerten in diesem Wasser, dicht unter der Oberfläche. Er glaubte Wesen wahrzunehmen, die sich bedächtig in den Ozeantiefen bewegten, und einen Augenblick lang vermeinte er ein aufgedunsenes weißes Gesicht zu sehen, dem seinen nicht unähnlich - ein melniboneisches Gesicht.
Impulsiv wirbelte er herum, kehrte zur Reling zurück und blickte an Blendker vorbei, während er ein Gefühl der Übelkeit zu unterdrücken versuchte.
Zum erstenmal seit er an Bord gekommen war, konnte er das Schiff in voller Länge überblicken. Da waren die beiden großen Steuerruder, eins neben ihm auf dem Vorderdeck, das andere am anderen Schiffsende auf dem Achterdeck, wie immer bemannt von dem Steuermann, dem stehenden Zwilling des Kapitäns. Dann der große Mast mit dem prallen schwarzen Segel und unmittelbar davor und dahinter die beiden Deckskabinen, von denen eine völlig leer war (ihre Bewohner waren beim letzten Landaufenthalt umgekommen), während die andere nur von ihm und Blendker bewohnt wurde. Elrics Blick wurde wieder von dem Steuermann angezogen, und nicht zum erstenmal fragte sich der Albino, wie groß der Einfluß war, den der Zwilling des Kapitäns auf den Kurs des schwarzen Schiffes hatte.
Der Mann schien nie zu ermüden; soweit Elric wußte, suchte er nur selten sein Quartier im unteren Achterdeck auf, die der Unterkunft des Kapitäns auf dem Vorderdeck gegenüberlag. Ein oder zweimal hatten Elric oder Blendker versucht, den Steuermann in ein Gespräch zu ziehen, doch er schien so taub zu sein, wie sein Bruder blind war.
Die kryptographischen geometrischen Reliefdarstellungen, die sämtliche Holzflächen und die meisten Metallteile des Schiffes bedeckten, fielen nun besonders dadurch auf, daß noch Reste des hellen Nebels an ihnen hafteten (wieder fragte sich Elric, ob das Schiff den Nebel, der es umgab, selbst hervorbrachte). Während er noch darauf starrte, wurden die Darstellungen in hellrosa Feuer getaucht - das Licht des roten Sterns, der ihnen ewig folgte, durchdrang die Wolke über dem Schiff.
Ein Geräusch von unten. Der Kapitän, das lange rotgoldene Haar in einer Brise wehend, die Elric nicht spürte, verließ seine Kabine. Sein Stirnband aus blauer Jade, das er wie ein Diadem trug, hatte in dem rosa Licht eine violette Färbung angenommen, die lederfarbene Hose und Tunika reflektierten ebenfalls die Tönung, und sogar die Silbersandalen mit der Silberschnur waren rosig angehaucht.
Von neuem blickte Elric in das geheimnisvolle blinde Gesicht, das nach allgemein akzeptierter Meinung so unmenschlich war wie das seine, und machte sich Gedanken über die Herkunft des Mannes, der keinen anderen Namen gelten lassen wollte als ›Kapitän‹.
Wie vom Kapitän gerufen, zog sich der Nebel wieder um das Schiff zusammen, ähnlich wie eine Frau ihre Pelze um sich raffen mochte. Das Licht des roten Sterns verblaßte, das ferne Geschrei ging jedoch weiter.
Bemerkte der Kapitän die Schreie zum erstenmal, oder führte er eine Pantomime der Überraschung auf? Der blinde Kopf legte sich auf die Seite, eine Hand wurde ans Ohr gehoben. Befriedigt murmelte er: »Aha!« und den Kopf hebend: »Elric?«
»Hier«, sagte der Albino. »Über dir.«
»Wir sind fast am Ziel, Elric.«
Die zerbrechlich wirkende Hand fand das Geländer der Deckstreppe. Der Kapitän begann heraufzusteigen.
Elric stellte sich ihm oben an den Stufen entgegen. »Wenn es um einen Kampf geht.«
Das Lächeln des Kapitäns war rätselhaft, bitter. »Es war ein Kampf - oder wird einer sein.«
»... wollen wir damit nichts zu tun haben«, sprach der Albino entschlossen weiter.
»Es ist kein Kampf, in den mein Schiff direkt verwickelt ist«, beruhigte ihn der blinde Mann. »Die Schreie, die du hörst, stammen von Besiegten - sie sind in einer Zukunft verloren, die du, soweit ich weiß, gegen Ende deiner derzeitigen Inkarnation erleben wirst.«
Elric schwenkte ungeduldig die Hand. »Es würde mich freuen, Kapitän, wenn du nicht sinnlos und in Rätseln sprechen würdest. Ich habe genug davon.«
»Tut mir leid, wenn du gekränkt bist. Ich antworte ohne Ausflüchte und folge dabei nur meinen Instinkten.«
Der Kapitän, der nun an Elric und Otto Blendker vorbei zur Reling ging, schien sich zu entschuldigen. Er schwieg eine Zeitlang und lauschte auf das beunruhigende Stimmengewirr im Nebel. Offenbar zufrieden, nickte er.
»Wir werfen bald den Anker. Wenn du von Bord
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