Die See des Schicksaals
gehen und deine eigene Welt suchen möchtest, würde ich dir raten, es jetzt zu tun. Nie wieder werden wir deiner Ebene so nahe sein wie jetzt.«
Elric gab sich keine Mühe, seinen Zorn zu verbergen. Er fluchte auf Ariochs Namen und legte dem Blinden eine Hand auf die Schulter. »Was? Du kannst mich nicht direkt in meine Ebene zurückbringen?«
»Dazu ist es zu spät.« Der Kummer des Kapitäns schien echt zu sein. »Das Schiff fährt weiter. Wir nähern uns dem Ende unserer langen Reise.«
»Aber wie soll ich meine Welt finden? Meine Zauberkraft reicht nicht aus, um zwischen den Sphären zu verkehren! Und dämonische Hilfe kann ich hier nicht erwarten.«
»Es gibt ein Tor in deine Welt«, sagte der Kapitän. »Deshalb meine ich ja, daß du hier aussteigen solltest. An anderen Orten gibt es solche Tore nicht. Deine Sphäre und diese hier kreuzen sich direkt.«
»Aber du sagst, dies hier liege in meiner Zukunft.«
»Gewiß - du wirst aber in deine Zeit zurückkehren. Hier bist du zeitlos. Deshalb ist dein Gedächtnis auch so schlecht. Deshalb erinnerst du dich nur schwach an die Dinge, die dir widerfahren. Suche nach dem Tor - es ist rot und ragt aus dem Meer vor der Küste der Insel.«
»Welcher Insel?«
»Der Insel, der wir uns nähern.«
Elric zögerte. »Und wohin fährst du, wenn ich von Bord bin?«
»Nach Tanelorn«, sagte der Kapitän. »Dort gibt es Arbeit für mich. Mein Bruder und ich müssen unser Geschick vollenden. Wir haben nicht nur Männer an Bord, sondern auch eine Ladung. Sicher gibt es viele, die uns aufhalten wollen, denn sie haben Angst vor unserer Fracht. Vielleicht gehen wir zugrunde; trotzdem müssen wir uns größte Mühe geben, Tanelorn zu erreichen.«
»Der Ort, an dem wir Agak und Gagak bekämpften, war also nicht Tanelorn?«
»Er war nichts weiter als ein zerstörter Traum von Tanelorn, Elric.«
Der Melniboneer erkannte, daß er von dem Kapitän keine weiteren Informationen erwarten durfte.
»Du machst mir die Entscheidung schwer - einerseits soll ich mit dir in neue Gefahren reisen und meine eigene Welt nie wiedersehen, andererseits soll ich es riskieren, auf jener Insel dort zu landen, die nach den Geräuschen zu urteilen von Verdammten bewohnt ist und von jenen, die sich an ihnen vergehen.«
Die blinden Augen des Kapitäns bewegten sich in Elrics Richtung. »Ich weiß«, sagte er leise. »Aber etwas Besseres kann ich dir nicht bieten.«
Die Schreie, die drängenden, entsetzten Rufe, waren nähergekommen, hatten aber im Volumen nachgelassen. Elric glaubte zwei bewehrte Hände aus dem Wasser ragen zu sehen; rote Bläschen waren zu sehen und gelber Schaum, in dem widerliches Strandgut trieb: zerbrochene Planken, Leinenfetzen und, in zunehmender Zahl, Leichen.
»Aber wo war der Kampf?« flüsterte Blendker, den der Anblick faszinierte und entsetzte.
»Nicht auf dieser Ebene«, antwortete der Kaptän. »Ihr seht nur die Trümmer, die von einer Welt in die andere getrieben werden.«
»Dann war es also ein übernatürlicher Kampf?«
Wieder lächelte der Kapitän. »Ich bin nicht allwissend. Aber ja, ich glaube, hier waren übernatürliche Kräfte am Werk. Die Krieger einer halben Welt kämpften in der See-Schlacht - sie sollte über das Schicksal des Multiversums entscheiden. Es ist - oder wird es sein - eine der entscheidenden Schlachten, die das Schicksal der Menschheit bestimmt, die die Entwicklung des Menschen im kommenden Zyklus festlegt.«
»Wer waren die Parteien?« fragte Elric wider sein besseres Wissen. »Worum ging es nach Meinung der Kämpfenden?«
»Das wirst du schon noch erfahren, glaube ich.« Der Kapitän drehte den Kopf wieder zum Meer.
Blendker rümpfte die Nase. »Ach! Es stinkt!«
Auch Elric fand den Geruch immer unangenehmer. Da und dort war das Wasser nun von zuckendem Feuer erhellt, das die Gesichter der Ertrinkenden beleuchtete, von denen sich einige noch an geschwärzte Treibholzreste klammerten. Nicht alle Gesichter gehörten Menschen (auch wenn sie so aussahen, als wären sie einmal menschlich gewesen): Wesen mit Schweine- und Rinderschnauzen streckten dem Schwarzen Schiff verwachsene Hände entgegen und flehten grunzend um Hilfe, aber der Kapitän ignorierte sie. Und der Steuermann blieb auf Kurs.
Flammen knisterten, Wasser zischte, Rauch vermengte sich mit dem Nebel. Elric hatte sich einen Ärmel über Mund und Nase geschoben und war froh, daß Rauch und Nebel die Sicht eher verschlechterten, denn als die Wrackteile nun zahlreicher wurden,
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