Die See des Schicksaals
Spitze erreichte und sich an der Kante eines breiten Felsplateaus wiederfand, das aber bald wieder steil abfiel und den Eindruck eines sehr nahen Horizonts vermittelte. Hinter dem Plateau war nichts als Himmel. Nur karges bräunliches Gras wuchs hier, für eine menschliche Besiedlung gab es keine Anzeichen. In diesem Augenblick wurde Elric zum erstenmal bewußt, daß es hier überhaupt kein Tierleben gab. Kein einziger Meeresvogel flog durch die Luft, kein Insekt kroch durch das Gras. Statt dessen lastete eine enorme Stille über der braunen Ebene.
Elric fühlte sich noch immer bemerkenswert munter. Er beschloß diese Energie zu nutzen und zum Rand des Plateaus vorzustoßen, in der Hoffnung, von dort eine Stadt oder ein Dorf auszumachen. Er marschierte weiter, ohne den Mangel an Nahrung oder Wasser zu spüren, und sein Schritt war denkbar schnell und sicher. Aber er hatte sich in der Entfernung verschätzt, und ehe er seine Wanderung zum Rand des Plateaus auch nur annähernd beenden konnte, war die Sonne untergegangen. Der Himmel nahm auf allen Seiten eine tiefblaue Tönung an, ebenso die wenigen sichtbaren Wolken. Zum erstenmal erkannte Elric nun, daß die Sonne selbst nicht normal gefärbt war, daß sie vielmehr schwärzlichpurpurn schimmerte, und fragte sich wieder, ob er noch träume.
Der Boden begann steil anzusteigen, so daß er nur noch mit Mühe ausschreiten konnte, doch ehe das Licht völlig verblich, erreichte er einen Steilhang, der in ein breites Tal hinabführte. Bäume gab es hier nicht, dafür aber einen Fluß, der sich durch Felsbrocken und Moos und Farnkraut wand.
Nach kurzer Pause entschloß sich Elric zum Weiterwandern, obwohl es Nacht geworden war. Vielleicht konnte er noch den Fluß erreichen, wo es wenigstens etwas zu trinken gab und morgen vielleicht einen Fisch zum Frühstück.
Wieder half ihm kein Mond bei der Orientierung, und er wanderte zwei oder drei Stunden lang durch eine Dunkelheit, die beinahe total war; dabei prallte er von Zeit zu Zeit gegen große Steine. Doch schließlich wurde der Boden wieder eben, und er war sicher, den Talgrund erreicht zu haben.
Inzwischen meldete sich bei ihm ein starker Durst und ein erster Anflug von Hunger; trotzdem beschloß er bis zum Morgen zu warten, ehe er sich auf die Suche nach dem Fluß machte. Er kam um einen besonders großen Felsen, als er voller Erstaunen das Licht eines Lagerfeuers entdeckte.
Hoffentlich war dies das Feuer einer Gruppe von Kaufleuten, einer Handelskarawane auf dem Weg in ein zivilisiertes Land, eine Karawane, die ihn mitreisen ließ, vielleicht als Söldner. (Seit Verlassen Melnibones hatte er sich schon mehrmals auf diese Weise sein Brot verdient.)
Aber Elrics alte Instinkte hatten ihn nicht verlassen; vorsichtig näherte er sich dem Feuer und ließ sich nicht blicken. Unter einem überhängenden Felsen, hinter den die Flammen des Feuers einen großen Schatten warfen, beobachtete er die Gruppe aus fünfzehn oder sechzehn Männern, die dicht am Feuer saßen oder lagen und die mit Würfeln und numerierten Elfenbeinstücken spielten.
Gold, Bronze und Silber schimmerten im Schein des Feuers, während die Männer große Summen auf den Fall eines Würfels, auf den Fall eines Elfenbeinstückchens setzten.
Elric nahm an, daß die Männer ihn längst entdeckt hätten, wenn sie nicht so sehr auf das Spiel konzentriert gewesen wären, denn es handelte sich doch nicht um Kaufleute. Dem äußeren Anschein nach waren es Krieger: sie trugen zerkratzte Lederwamse und eingebeulte Metallteile, ihre Waffen lagen griffbereit. Trotzdem gehörten sie keiner Armee an - es sei denn, einer Räuberarmee -, denn sie entstammten allen möglichen Rassen und schienen seltsamerweise auch aus unterschiedlichen Perioden in der Geschichte der Jungen Königreiche zu kommen.
Es sah aus, als hätten sie die Geschichtssammlung irgendeines Gelehrten geplündert. Ein Streitaxtschwinger der späten lormyrischen Republik, die vor etwa zweihundert Jahren versunken war, lag dicht neben einem chalalitischen Bogenschützen aus einer Periode, die etwa zeitgleich mit Elrics war. In der Nähe des Chalaliten saß ein kleiner ilmioranischer Infanterist aus dem letzten Jahrhundert. Neben ihm ein Filkharier in dem barbarischen Gewand der absoluten Frühzeit seiner Nation. Tarkeshiten, Shazarier, Vilmirier - sie alle saßen in bunter Reihe am Feuer, und das einzige, gemeinsame Merkmal der Männer war ein durchtriebener, hungriger Gesichtsausdruck.
Unter anderen
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