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Die See des Schicksaals

Die See des Schicksaals

Titel: Die See des Schicksaals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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intakten Weinkrug fand, schnitt das Siegel ab und reichte Elric das Gefäß. Der Albino hob die Öffnung an die Lippen und ließ sich einen kleinen Schluck des guten Weins in den Mund laufen. Als Graf Smiorgan zu trinken begann, glaubte Elric eine neuerliche Bewegung am Achterdeck wahrzunehmen und machte einige Schritte in diese Richtung.
    Er war fest davon überzeugt, daß da jemand mühsam und hastig atmete - das Atmen eines Menschen, der nicht entdeckt werden wollte und deshalb lieber sein Bedürfnis nach Luft unterdrückte. Die Atemzüge waren nicht laut, doch der Albino hatte gute Ohren - im Gegensatz zu seinen Augen. Er hielt sich bereit, das Schwert zu ziehen, und näherte sich der Ursache der Geräusche; Smiorgan folgte dicht hinter ihm.
    Sie kam aus ihrem Versteck, ehe er sie erreichte. Das Haar rahmte in verklebten und schmutzigen Locken ihr bleiches Gesicht, die Schultern waren gebeugt, die weichen Arme hingen schlaff herab, das Kleid war schmutzig und zerrissen.
    Sie sank vor Elric in die Knie. »Töte mich«, sagte sie ergeben, »aber ich flehe dich an - bring mich nicht zu Saxif D'Aan zurück, obgleich du sein Diener oder Verwandter bist.«
    »Sie ist es!« rief Smiorgan verblüfft. »Unser Passagier! Sie muß sich die ganze Zeit versteckt haben!«
    Elric trat vor und faßte die Frau am Kinn und hob ihren Kopf, damit er ihr Gesicht sehen konnte. Ihre Züge hatten etwas Melniboneisches; trotzdem nahm er an, daß sie eher aus den Jungen Königreichen stammte. Ihr fehlte auch der Stolz einer melniboneischen Frau. »Welchen Namen hast du geführt?« fragte er freundlich. »Hast du eben von Saxif D'Aan gesprochen? Graf Saxif D'Aan aus Melmbone?«
    »Ja, Herr.«
    »Du brauchst in mir nicht seinen Diener zu fürchten«, sagte Elric. »Und was die Verwandschaft angeht, nun, die dürfte mütterlicherseits bestehen - nein, eher großmütterlicherseits. Er war mein Vorfahr. Er muß seit mindestens zweihundert Jahren tot sein!«
    »Nein«, sagte sie. »Er lebt, Herr!«
    »Auf dieser Insel?«
    »Die Insel ist nicht sein Zuhause, doch in dieser Ebene existiert er. Ich wollte ihm durch das Rote Tor entkommen. Ich floh in einem Ruderboot hindurch und erreichte die Stadt, in der du mich fandest, Graf Smiorgan, doch kaum war ich an Bord, zog er mich zurück. Er zog mich zurück, mitsamt dem Schiff. Bedauern erfüllt mich wegen dieser Tat - und wegen des Schicksals deiner Mannschaft. Jetzt weiß ich, daß er mich sucht. Ich spüre ihn näherkommen.«
    »Ist er unsichtbar?« fragte Smiorgan plötzlich. »Reitet er ein weißes Pferd?«
    Ihr stockte der Atem. »Seht ihr! Er ist wirklich in der Nähe. Aus welchem anderen Grund sollte das Pferd auf der Insel auftauchen?«
    »Er reitet darauf?« fragte Elric.
    »Nein, nein! Er fürchtet das Pferd beinahe so sehr wie ich ihn fürchte. Das Pferd verfolgt ihn!«
    Elric zog das melniboneische Goldrad aus der Tasche. »Hast du diese Münze von Graf Saxif D'Aan?«
    »Ja.«
    Der Albino runzelte die Stirn.
    »Wer ist dieser Mann, Elric?« fragte Graf Smiorgan. »Du beschreibst ihn als einen Vorfahren -doch lebt er in dieser Welt. Was weißt du über ihn?«
    Elric wog das Goldrad in der Hand und steckte es wieder in die Tasche. »Mit ihm verbindet sich in Melnibone eine Art Legende. Seine Geschichte ist in unsere Literatur eingegangen. Er war ein großer Zauberer - einer der größten - und verliebte sich. Es geschieht selten genug, daß sich ein Melniboneer verliebt, so wie andere dieses Gefühl verstehen, doch noch seltener ergeben sich diese Gefühle gegenüber einem Mädchen, das nicht einmal unserer Rasse angehört. Sie war nur Halb-Melniboneerin, hieß es, stammte aber aus einem Land, das damals zu den melniboneischen Besitztümern gehörte, eine Provinz im Westen, bei Dharijor. Sie wurde von ihm gekauft, zusammen mit ein paar anderen Sklaven, die er für ein Zauberexperiment zu verwenden gedachte. Er trennte sie aber von der Gruppe und bewahrte sie von dem unbekannten Schicksal der anderen. Er überschüttete sie mit Aufmerksamkeiten, mit Geschenken. Für sie gab er seine Zaubertätigkeit auf und zog sich aus Imrryr zurück, um irgendwo ein stilles Leben zu führen, obgleich sie ihn nicht zu lieben schien. Es gab da nämlich einen anderen Mann, einen Krieger namens Carolak, wenn ich mich recht erinnere, ebenfalls Halb-Melniboneer. Er hatte sich in Shazar als Söldner anwerben lassen und stand am shazarischen Hof in hoher Gunst. Vor ihrer Entführung war sie diesem Carolak

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