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Die Seele der Elben

Titel: Die Seele der Elben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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ich fragen, mit wem ich die Ehre …«
    Der Elbe schüttelte den Kopf. »Ich muss mich entschuldigen, meine Manieren lassen wirklich zu wünschen übrig.« Er neigte leicht den Kopf, und seine beinahe farblosen Augen blickten an ihr vorbei, während die schwarzen Knopfaugen der Amsel sie nach wie vor fixierten. »Maris ist mein Name, ich bin der Bibliothekar des Bardensteins. Wie du vielleicht bemerkt hast, rede ich sonst fast nur mit meinen Büchern.« Das Lächeln war sehr schön, dachte Vanandel, wenn es auch so wirkte, als würde es selten benutzt. Aber er sah sie immer noch nicht an, und langsam störte es sie.
    Â»Vanandel«, stellte sie sich vor.
    Â»Ah«, er verneigte sich im Sitzen, »Hoheit, ich muss mich erneut entschuldigen. Ich wusste nicht, wen ich in seiner Lektüre störe.« Er machte Anstalten aufzustehen. »Ich darf mich zurück…«
    Â»Ach, Papperlapapp«, sagte sie. »Bleib sitzen, bitte. Nimm dir einen Apfel.«
    Erneut erhellte ein Lächeln sein Gesicht. »Danke«, sagte er erfreut. »Ich liebe Äpfel!« Sie hielt ihm den schönsten hin, und er griff tastend an ihm vorbei in die Luft. »Sarikan, bitte«, sagte er sanft mahnend, und Vanandel sah mit Staunen, dass die Amsel, die ihre Aufmerksamkeit einem fetten Regenwurm zugewandt hatte, ihren Kopf herumriss und wieder zu Vanandel blickte.
    Â»Danke«, sagte der Barde und nahm zielsicher den Apfel aus Vanandels Hand, wobei er ihre Finger berührte.
    Â»Oh«, machte Vanandel. »Oh, ich wusste nicht …«
    Â»Das macht doch nichts«, sagte er und biss in die Frucht.
    Sie konnte nichts anderes tun, als ihn anzustarren. Wie konnte jemand, der … wie konnte er Bibliothekar sein? Und er war ein Elbe – Elben waren makellos. Körperliche Gebrechen waren ihnen vollkommen fremd. Ob er ein Halbelbe war, so wie Lluis?
    Er saß da und vertilgte konzentriert seinen Apfel. Die Amsel war von seiner Schulter gehüpft und zerrte den sich heftig sträubenden Regenwurm aus der Erde. Also nutzte Vanandel die Gelegenheit, ihn nach Herzenslust und unbeobachtet anzustarren. Er war hochgewachsen und extrem schlank, und seine Erscheinung war – sie suchte nach einem Wort – mondlichtfarben . Sein langes Haar war wie das des Bruders Schreiber zu einem Zopf zusammengefasst und silberweiß, die Augen hell wie ein klarer Bach, in dem golden schimmernde Kiesel lagen. Seine Hände und sein Gesicht waren blass, aber es war keine kranke Blässe, sondern die von Blütenblättern oder dem Fell einer weißen Katze. Nur seine Wimpern und Augenbrauen hatten einen sanften Braunton, und die Lippen seines geschwungenen Mundes waren leicht gerötet wie der Apfel, den er gerade verspeiste. Und ebendieser Mund verzog sich jetzt zu einem erneuten Lächeln, das dem Gesicht mehr Farbe verlieh, als Sonnenbräune es je vermocht hätte. »Nun?«, fragte er. »Was siehst du?«
    Sie errötete, denn sie hatte über seine Betrachtung die Amsel vergessen, die inzwischen wieder auf seiner Schulter hockte.
    Â»Dich«, sagte sie geradeheraus. »Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so …« Fast hätte sie zerbrechlich gesagt, aber das Wort stimmte nicht. Er war hell wie gesponnenes Glas und wirkte ebenso fragil, aber sie war überzeugt davon, dass er so stark war wie biegsamer Stahl.
    Â»Und?«, fragte er weiter. »Was siehst du, wenn du mich siehst?« Sein Tonfall war keineswegs neckend, sondern eher beiläufig.
    Vanandel legte einen Finger an die Nase und sah ihn an. »Ich sehe jemanden, den ich gerne kennenlernen würde«, antwortete sie. »Du bist anders als jeder, den ich bisher kenne.« Ein Gedanke tauchte in ihr auf, und sie musste lachen.
    Er sah sie fragend an. Sie schüttelte den Kopf und hielt ihren letzten Apfel hoch. Er nahm ihn, biss aber nicht hinein, sondern sah sie weiter an. Es war seltsam, wie schnell sie sich daran gewöhnt hatte, den Blick des Vogels als den seinen hinzunehmen.
    Â»Garness«, sagte sie. »Ich habe gerade versucht, mir euch beide nebeneinander vorzustellen. Es passt nicht.«
    Er legte den Kopf ebenso schief wie die Amsel und sah sie verdutzt an. Sie lachte wieder, und er lächelte mit ihr.
    Â»Garness – er hat mir von dir erzählt«, sagte er langsam. »Er sagte, dass er sich sehr schlecht fühlt, weil er glaubt, dich im Stich gelassen zu

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