Die Seele der Nacht
von seiner trübseligen Seite. Düstere Wolken zogen über den Himmel, und bald darauf setzte ein kalter Landregen ein.
»Kopf hoch«, murmelte Wurgluck und tätschelte ihre Hand. »Es gibt immer einen Weg, auch wenn er oft nicht schon von weitem zu erkennen ist. Sei voller Mut und Zuversicht, dann wird sich eine Lösung finden.«
Tahâma schüttelte den Kopf, wie um all die trübsinnigen Gedanken zu vertreiben. »Du hast Recht, wie immer, weiser Wurgluck«, sagte sie und versuchte zu lächeln.
Die Nacht war längst hereingebrochen, als sie den Steinkreis erreichten und bei Meister Ýven um ein Lager und Schutz vor den Schatten baten. Frierend und völlig durchnässt traten Céredas und Wurgluck in die aufgeheizte Hütte. Tahâma folgte ihnen. Obwohl ihre Tunika und der Umhang so dünn und leicht schienen, war die Haut des Mädchens unter dem Stoff trocken und warm geblieben.
Ýven sah die drei an, keine Schuppe in seinem Gesicht regte sich, dann jedoch zeigte er seine vielen spitzen Zähne, was vermutlich ein Lächeln sein sollte. »Kommt herein, verehrte Gäste. Wer hätte gedacht, dass wir uns so schnell wieder begegnen. Konntet Ihr nicht finden, was Ihr suchtet?«
»Ja und nein«, antwortete Wurgluck. »Wir haben Tahâmas Volk in dem Dorf Gwonlâ gefunden, aber auch den Schattenlord führte der Weg dorthin.«
Die Echse nickte. »Und nun seid Ihr auf der Suche nach Hilfe und Schutz. Das wird kein leichtes Unterfangen.«
Sie setzten sich an die wärmende Glut, die dem Jäger und dem Gnom die schmerzende Kälte aus den Gliedern vertrieb. Bald dampften ihre Gewänder. Von innen wärmten sie sich mit einem Gebräu, das der Meister ihnen brachte. Nach einem kritischen Blick, ob nicht etwa Würmer oder Insekten darin schwammen, nahm auch Tahâma einen Becher entgegen. Sie teilte mit Céredas den Proviant, den die Mutter der Harmonie ihnen mitgegeben hatte, während Wurgluck sich gerne aus Meister Ývens Schüsseln bediente. Bald wurde selbst der Erdgnom schläfrig. Der lange Ritt und der Schrecken der vergangenen Nacht hatten sie alle erschöpft. Sie rollten sich auf den Polstern zusammen und schliefen ein.
Die Freunde hatten sich vorgenommen, gleich bei Tagesanbruch weiter zu reiten, doch es schien keinen Morgen zu geben. Der Hügel mit dem Steinkreis war in dichten Nebel gehüllt, es stürmte und regnete, so dass man keine fünf Schritte weit sehen konnte.
Eine steile Falte auf der Stirn, kam Céredas wieder in die Hütte zurück. »Der Straße könnten wir wohl folgen, aber wie sollen wir die Stelle finden, wo wir den Weg verlassen müssen, solange dichte Wolken uns die Sicht nehmen?«
Tahâma nickte. Sie setzte sich wieder auf ein Polster und zog ihre Flöte heraus. Meister Ýven gesellte sich zu ihr und lauschte verzückt.
Wurgluck warf den beiden einen Blick zu, dann ging er zu Céredas hinüber, der an der Tür stand und voller Ungeduld in den Regen hinausstarrte. »Was hat dich dazu bewogen, deine Pläne zu ändern?«
»Du kannst es wohl gar nicht abwarten, mich loszuwerden«, fauchte der Jäger.
Wurgluck schwieg eine Weile. »Ich sorge mich um ihr Wohl, das ist alles«, sagte er dann.
»Da bist du nicht der Einzige!«, zischte Céredas. »Auch mir liegen ihre Gesundheit und ihr Glück am Herzen. Wie kann ich sie dann ganz allein durch das Land reisen lassen?«
»Pah, allein«, brummte der Erdgnom. »Sie hat Freunde!«
»Einen Erdgnom von kaum zwei Fuß Länge. Ein beeindruckender Schutz!«
»Es kommt nicht immer auf die Muskelkraft an«, verteidigte sich Wurgluck. »Außerdem ist Tahâma sehr wohl in der Lage, auf sich selbst aufzupassen, vor allem jetzt, da sie den Stein wieder bei sich trägt. Ich denke, du hast nur nach einem Grund gesucht, den Abschied hinauszuzögern. Glaubst du, dass du ihr damit einen Gefallen tust?«
»Ich werde gehen, wenn die Zeit gekommen ist, also lass mich endlich in Ruhe! Ich brauche niemanden, der mir sagt, was ich zu tun habe. Vor allem keinen altklugen Erdgnom, der glaubt, von der Weisheit erleuchtet zu sein.«
Wurgluck öffnete den Mund, wandte sich dann aber wieder ab, ohne etwas zu erwidern, und setzte sich neben Tahâma auf das Polster.
Mittag war schon vorüber, als die Wolken höher stiegen und der Regen nachließ. Endlich konnten sie ihren Weg fortsetzen. Mit einer tiefen Verbeugung nahmen sie von Meister Ýven Abschied. Der Echsenmann wünschte ihnen Glück und winkte ihnen nach.
Die Freunde erreichten Aylanas Hütte kurz nach Sonnenuntergang. Unter
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