Die Seele der Nacht
den ausladenden Ästen der Eiche graste Glyowind, die junge Frau jedoch war nicht zu sehen.
Tahâma stieg ab und klopfte. Sie musste einige Augenblicke warten, ehe sie Schritte vernahm und die Tür einen Spalt weit geöffnet wurde. »Der Segen deiner Vorväter sei mit dir, Aylana«, grüßte sie. Nun traten auch Céredas und
Wurgluck heran.
»Was wollt ihr hier?«, fragte sie.
Das war nicht die freundliche Begrüßung, die Tahâma erwartet hatte. Ungläubig sah sie Aylana an.
»Tahâma wird morgen nach Krizha reiten, um ihren Großvater um Hilfe zu bitten, daher hofften wir, bei dir ein sicheres Nachtlager zu finden«, sagte Wurgluck.
Aylana schüttelte heftig den Kopf. »Das geht nicht, auf keinen Fall.«
Tahâma trat zu der schwarzhaarigen Frau und legte eine Hand auf ihren Arm. »Was ist denn los? Liebe Aylana, ist ein Unglück geschehen? Die Sonne ist bereits untergegangen, und die Nacht bricht herein. Du wirst uns doch nicht den grausamen Schatten der Nacht preisgeben! Du weißt, dass Céredas nicht nach Krizha zurückkehren kann.«
»Ja, das weiß ich, und es tut mir in der Seele weh. Dennoch kann ich euch heute Nacht nicht einlassen. Fragt nicht, warum, denn ich werde euch keine Antwort geben. Reitet davon, so weit ihr nur könnt, und sucht irgendwo Schutz. Ich verspreche euch, ihr werdet es heute Nacht nicht mit dem Lord aufnehmen müssen. Vertreibt seine Schergen mit Feuer und Licht. Morgen, wenn es Tag geworden ist, könnt ihr zurückkehren.«
Bevor Tahâma reagieren konnte, hatte sich Aylana ihrem Griff entwunden und schlug die Tür zu. Der Riegel rastete ein. Das Mädchen starrte schweigend auf die geschlossene Tür vor ihrer Nase.
»Merkwürdige Dinge gehen hier vor«, murmelte Wurgluck. »Dann auf die Pferde und nichts wie weg!«
Tahâma schüttelte störrisch den Kopf. »Ich werde nirgendwohin reiten. Ich will wissen, was hier vor sich geht. Aylana ist nicht sie selbst. Sie braucht unsere Hilfe. Ich kann nicht zulassen, dass ihr etwas Schreckliches passiert.«
Wurgluck starrte sie aus großen Augen an. »Ich weiß nicht, an was du denkst, aber wenn es das ist, was mir vorschwebt, dann sollten wir uns auf keinen Fall dazwischenstellen, wenn wir nicht zu Asche zerrieben werden wollen! Reiten wir, so weit wir vor Mitternacht kommen!« Er sah zu Céredas hinüber.
Der Jäger packte Tahâmas Hand und zog sie ein paar Schritte zur Seite. »Du musst wegreiten«, sagte er mit zitternder Stimme. »Ich habe gesagt, ich komme mit, um dich zu beschützen, aber wenn du jetzt hier bleibst, wird etwas Schreckliches passieren.« Er deutete zum Himmel empor. »Gleich geht der rote Mond auf. Es ist seine Nacht!«
Tahâma lächelte ihn an. »Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen und freue mich, dass du den Abschied hinausgeschoben hast. Aber auch Aylana braucht heute Nacht Hilfe und Schutz.«
Céredas griff nach ihren Oberarmen, so fest, dass es sie schmerzte. »Tahâma, ich bitte dich. Wenn du nicht um deiner eigenen Sicherheit willen meinen Rat annehmen willst, dann tu es für mich. Sagtest du nicht, es sei mehr als Freundschaft, was sich in deinem Herzen bewegt?«
Das Mädchen sah ihm in die Augen. »Ja, ein so mächtiges Gefühl, dass es sich nicht in Worte fassen lässt. Dennoch kann ich mich jetzt nicht einfach verstecken. Wenn auch du etwas für mich empfindest, dann wirst du das verstehen.«
Céredas ließ sie los und trat einen Schritt zurück. Rubus schob sich über die Baumwipfel und färbte sein Gesicht rot. Er kniff die Augen zusammen und betrachtete das Mädchen mit regloser Miene. »Dann lass uns gehen. Wir müssen uns ein Versteck suchen.« Seine Stimme klang kalt. »Die Nacht ist finster, Tahâma. Du solltest mich nur bei Tag lieben«, fügte er hinzu und stapfte davon.
»Ihr seid verrückt, alle beide«, stöhnte der Erdgnom. »Was habt ihr vor?«
Sie verließen den Hügel und umrundeten ihn im Schutz der Bäume. Céredas nahm die Pferde bei den Zügeln und führte sie von der Rückseite her wieder auf die Hütte zu. Er öffnete die Stalltür und schob die beiden Tiere hinein, dann huschte er wieder den Hügel hinab. Die Freunde verbargen sich in der Krone einer Blutbuche, deren Stamm von dichten Silbersternbüschen umwuchert war. Von hier oben hatten sie einen guten Blick auf den grasigen Hügel und die Vorderseite der Hütte. Voller Spannung warteten sie auf Mitternacht.
Nur der Erdgnom, der mit verschränkten Beinen in einer kleinen Baumhöhle saß, brummelte unwillig vor sich
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