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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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sie auf dem Boden auf, Kies spritzte zur Seite. Noch immer hielt sie Krísodul in der Hand. Wurgluck sah von seinem Versteck in der Blutbuche, wie sich Tahâmas Finger zuckend um die spiegelnden Flächen legten. Tahâmas Geist war bereits in tiefe Ohnmacht geglitten.
     
    Da war eine Stimme. Sie sang. Freundliche, warme Töne perlten auf sie herab. Fiel ihr Körper noch immer? Nein, erlag warm und geborgen, und es war auch nicht mehr dunkel um sie her. Durch die geschlossenen Lider schimmerte es rötlich. Tahâma öffnete die Augen und sah zu Aylana hinauf, die sich über sie gebeugt hatte. Die lieblichen Töne verhallten.
    »Sie ist erwacht«, sagte Aylana leise.
    Sie hörte die knarrende Stimme des Erdgnoms. »Ich fürchtete schon, wir hätten sie für immer verloren.«
    »Nein«, erwiderte Aylana, »ich habe es dir doch gesagt. Er wollte sie in dieser Nacht nicht töten.«
    Der Gnom schnaubte unwillig. Mit einem Ruck setzte sich Tahâma auf und sah sich um. Sie fand sich auf einer Matratze mitten in Aylanas Hütte wieder. Im Herd brannte ein Feuer, der Kessel darüber dampfte. Wohlriechende Kräuterdüfte stiegen aus ihm empor und verteilten sich in der Hütte. Die Fenster und die Tür standen weit offen. Tageslicht flutete herein. Der Geruch von Erde und frischem Sommerregen vermischte sich mit den Kräuteressenzen.
    »Wo ist Céredas?«, fragte sie. Ihre Stimme klang seltsam spröde.
    »Die Schatten haben ihn mit sich genommen«, antwortete Aylana.
    »Nein!« Es war ein Schrei voller Verzweiflung.
    »Er hat nicht gekämpft«, ergänzte der Gnom, obwohl er wusste, dass das ihren Schmerz noch vertiefte.
    »Er hat sich geopfert, um sie von dir fern zu halten«, sagte Aylana.
    Tränen rannen über Tahâmas Wangen. »Gibt es noch Hoffnung?«, fragte sie kaum hörbar.
    Aylana schüttelte den Kopf.
    »Aber – aber«, stotterte Tahâma plötzlich, »warum bist du noch am Leben? Warum hat er dich nicht getötet oder mitgenommen?«
    Die junge Frau erhob sich und trat an den Kräuterkessel, um einige Blätter hineinzustreuen. Vom Herd aus wandte sie Tahâma ihr schönes, bleiches Gesicht zu. Schwermut schwebte fast greifbar um sie. »Ein Teil meiner Seele gehört von nun an zu den Schatten.« Die Traurigkeit grub feine Linien um ihren Mund. »Nein, vielleicht ist ein Stück von mir seit jeher dort.«
    Tahâma stöhnte auf und barg ihr Gesicht in den Händen. Nun verstand sie. »Du wirst sein Kind bekommen, nicht wahr?« Sie musste nicht aufsehen, um zu wissen, dass Aylana nickte.
    »Wenn es ein Mädchen ist, wird die dunkle Macht in ihr noch stärker sein. Die Legende sagt, die Kette darf drei Generationen lang nicht unterbrochen werden. Meine Tochter, in der Nacht des roten Mondes gezeugt, muss ihm eine Gefährtin werden, die seinen Schrecken noch übertreffen wird. – Trink das. Es wird deine Seele aufhellen.«
    Tahâma sah zu Aylana hoch, die ihr eine Schale mit Kräutersud reichte. Abwesend nahm sie das Gefäß, führte es jedoch nicht zum Mund. »Du bist die Tochter des Schattenlords«, murmelte sie, »in Rubus’ Nacht entstanden.«
    »Ja, wie auch meine Mutter vor mir. Mit der dritten Generation wird sich nun die Prophezeiung erfüllen. Meine Tochter wird mich schon früh verlassen und nach Tarî-Grôth ziehen. Schön und grausam wird sie sein und an der Seite des Lords herrschen.«
    »Ich wüsste nicht, was den Lord noch schlimmer machen könnte«, brummelte Wurgluck.
    »Ach nein?«, rief Aylana und fuhr herum. »Sie ist ein Geschöpf des Tages! Verstehst du denn nicht? Mit ihr an seiner Seite werden Licht und Feuer ihm nichts mehr anhaben können!«
    Tahâma und Wurgluck schwiegen. Die Erkenntnis sickerte langsam in ihre Gedanken ein.
    »Gibt es denn keine Möglichkeit, das zu verhindern?«, fragte das Mädchen schließlich.
    »Du meinst, ob ich es hätte verhindern können?«, gab Aylana zurück und zog die Augenbrauen zusammen, dass sich zwei schwarze Geraden bildeten.
    »Nein«, sagte Tahâma hastig und wich ein Stück zurück.
    Doch da war der bedrohliche Ausdruck schon wieder aus Aylanas Gesicht verschwunden, das abermals von Trauer verdüstert schien. »Vielleicht hätte ich den Tod wählen sollen, solange es ihn für mich noch gab. Jetzt ist mir auch dieser Ausweg versperrt.«
    »Deshalb warst du vor ihm sicher«, murmelte Tahâma. Ihre Gedanken wanderten wieder zu Céredas. Warum hatte er das getan? Sie fühlte sich schuldig. Wenn ich Aylanas Rat beherzigt hätte, dachte sie, wäre er jetzt noch am

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