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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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blitzten voll Stolz.
    »Komm, steig auf«, rief er, »wir haben keine Zeit zu verlieren.«
    Tahâma zögerte und sah noch einmal zur Stadt zurück.
    »Nun mach schon!«, drängte Wurgluck.
    Da öffneten sich die Tore, und mehrere Dutzend Geharnischte quollen hervor. Tahâma schwang sich auf den Rücken der Stute, riss sie herum und jagte die Straße entlang auf die Brücke zu. Die Wächter schrien ihr zornig hinterher. Viel zu lange brauchten sie, um ihre Pferde aus den Ställen zu holen. Als die ersten Reiter unter dem Tor erschienen, hatten die Flüchtenden die Brücke längst passiert und waren in der Dunkelheit verschwunden.
     
    Tahâma saß unter der Eiche auf Aylanas Hügel und sah in die untergehende Sonne. Obwohl die Strahlen ihre Haut wärmten und ihre Tunika zu glühen schien, war ihr Inneres in Kälte erstarrt. Nun, nachdem ihre Mission in Krizha zu Ende war und ihr Geist im Schutz der Hütte zur Ruhe kam, fand sie Zeit, sich der Trauer hinzugeben. »Tot, tot, tot«, hämmerte ihr Herz in immer gleichem Rhythmus. Wie viel Schmerz würde sie ertragen müssen, bis auch ihr Leben ein Ende fand?
    Sie schloss die Augen und sah Céredas vor sich, von den roten Schwaden der Sonne vor ihren Lidern umwallt. Seine Haut schimmerte in hellem Ocker, sein langes schwarzes Haar wehte im Wind. Sie sah die rotschwarz gestreifte Schlangenhaut, die er sich um die Stirn gewunden hatte, und das Lederband mit den Zähnen des erlegten Manticores um seinen Hals. Die Schatten der untergehenden Sonne ließen sein Gesicht noch kantiger erscheinen. Warm blickten seine Augen sie an. Ihr war, als könne sie Céredas’ Atem auf ihrer Wange spüren, und seine Stimme hüllte sie ein. Von nun an würde er nur noch Erinnerung sein, die mit jeder Nacht etwas mehr verblasste, bis sie ihn eines Tages nicht mehr sehen konnte. Der Schmerz würde irgendwann nachlassen, um den Preis des Vergessens. War das nicht schrecklicher, als die Pein und die Leere zu ertragen?
    Eine knochige Hand strich über die ihre. Tahâma zuckte zusammen und öffnete die Lider. Sie sah in Wurglucks moosgrüne Augen. »Du kannst mir keinen Trost schenken«, sagte sie rau.
    Der Erdgnom nickte. »Ja, da hast du Recht. Auch ich kann es kaum fassen, dass wir unseren Freund auf diese Weise verloren haben.« Er seufzte und fügte kaum hörbar hinzu: »Ich hatte es befürchtet, lange schon, aber man betrügt sich mit falschen Hoffnungen.«
    »Und nun ist er tot.« Tahâma lauschte den Worten nach, als könne sie kaum fassen, sie selbst laut ausgesprochen zu haben.
    »In den Händen des Schattenlords«, korrigierte Wurgluck, »aber tot?« Er zögerte. »Ich weiß nicht.«
    Tahâma runzelte die Stirn. »Es ist grausam, falsche Hoffnung zu wecken, wenn es längst Gewissheit gibt.«
    Wurgluck schüttelte den Kopf. »Ich sehe in diesem Gedanken keine Hoffnung. Er ist einer von ihnen. Nun ist er heimgekehrt.«
    Tahâma sah ihn verwirrt an. »Aber ja, sie haben ihn getötet, damit der Lord seinem Heer einen Unhold mehr zuführen kann.«
    »Nein, ich denke nicht, dass es so gewesen ist«, widersprach der Erdgnom. »Das Böse kreiste in seinen Adern, seit der Werwolf ihn gebissen hat. Ich habe versucht es aufzuhalten, mit all meinem Wissen, aber ich muss nun einsehen, dass es mir nicht gelungen ist. Das Gift hat immer mehr von ihm Besitz ergriffen. Nachts war es mächtiger als am Tag. Hast du nicht bemerkt, wie die Mächte in ihm kämpften? Nun, in der Nacht des roten Mondes, hat die dunkle Seite seiner Seele gesiegt.«
    Das Mädchen sprang auf und stampfte mit dem Fuß auf. »Wie kannst du es wagen, ihn des Verrats zu bezichtigen und sein Andenken zu beschmutzen? Durch sein selbstloses Opfer hat er mein Leben gerettet!«
    Der Erdgnom zuckte mit den Schultern. »Möglich ist es«, sagte er, aber er klang nicht überzeugt.
    Tahâma wandte sich ab und trat zu Aylana in die Hütte. Dankend nahm sie einen Becher Met entgegen und trank das wärmende Gebräu in kleinen Schlucken.
    »Was wirst du nun tun?«, fragte Aylana.
    »Weißt du, wo Tarî-Grôth liegt?«, erwiderte Tahâma.
    Aylana schüttelte den Kopf. »Willst du dich wirklich in die Schlangengrube wagen?«
    »Ich habe meinem Großvater gegenüber keine leeren Drohungen ausgestoßen. Ich werde nach Tarî-Grôth gehen und mich dem Kampf stellen. Wer weiß, vielleicht werde ich siegen, dann ist Nazagur und mit ihm auch mein ganzes Volk befreit. Und wenn ich versage, dann teile ich Céredas’ Schicksal«, fügte sie trotzig

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