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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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schwarzen Härchen bedeckt war. Selbst ihr hageres Gesicht überzog ein feiner Flaum. Ihre Augen waren seltsam farblos und im Verhältnis viel zu groß. Und sie waren leer! Keine Pupillen bewegten sich in ihnen. Verzerrt spiegelte sich das Mädchen in den Augen der Frau.
    »Ihr seid die Dame Crachna«, fragte Tahâma, »die Spinnenfrau?«
    Ihr Gegenüber stieß ein helles Fauchen aus. »Ja, so nennen sie uns.«
    Es klang wütend, daher fügte Tahâma rasch hinzu: »Crachna, die Sehende?«
    Nun hörte es sich eher wie ein Kichern an. »0 ja, wir sehen viel, und viel ist in unseren Augen zu sehen. Dinge so nah und Dinge so fern, Dinge von gestern und Dinge von morgen.« Wieder kicherte sie. »Und manches Mal wagen sie sogar einen Blick in die Menschenwelt.« Die spiegelnden Augen waren unverwandt auf Tahâma gerichtet. »Welche Fragen soll die Dame Crachna dir beantworten?« Sie wandte sich ein Stück zur Seite, und ihre Augen schienen nun Wurgluck zu erfassen. »Für diesen kleinen vertrockneten Kerl können wir dir nur einen kurzen Blick gestatten, dein Pferd jedoch würde uns recht großzügig stimmen.«
    Die Stute schnaubte ängstlich und wich ein Stück zurück.
    »Weder der Erdgnom noch mein Pferd sind zu Eurem Verzehr bestimmt, und auch mich selbst braucht Ihr nicht auf diese Weise zu mustern«, sagte Tahâma. »Wir konnten Euch kein frisches Fleisch besorgen. Das tut mir Leid. Dennoch bitten wir Euch um eine Auskunft.«
    Das Zischen der Spinnenfrau klang nun wieder unwillig. »Warum sollten wir dir ohne Gegenleistung einen Blick gewähren?«, fragte sie und trat einen Schritt weiter aus den Schatten heraus.
    Entsetzt sah Tahâma die scharfen Klauen an ihren Händen und Füßen. Crachna hob die dünne schwarze Oberlippe und entblößte zwei spitze Fangzähne. 0b sie Gift enthielten? Zweifellos, wenn sie sogar ein Pferd damit töten konnte. Sie kam Tahâma immer näher. Wurgluck stieß einen unterdrückten Schrei aus, doch das Mädchen war auf der Hut. Sie riss den Stab mit dem blauen Kristall hervor und richtete ihn auf Crachnas Gesicht. »Kommt nicht näher!«
    Crachna blieb stehen. Ein tiefes Lachen stieg aus ihrem Leib empor und floss über ihre Lippen. »Sieh da, sieh da, die Hälften sind wieder vereint. Wir haben Krísodul lange nicht gesehen. Glaube nicht, dass du uns mit ihm blenden kannst. Diese Augen kennen keinen Schmerz.«
    Tahâma ließ den Stab sinken. »Dame Crachna, wir wollen Euch weder blenden noch Euch Schmerz zufügen, aber wir sind auch nicht bereit, uns von Euch verspeisen zu lassen. Wir bitten Euch um Hilfe. Zeigt uns den Weg nach Tari-Grôth.« Sie öffnete ihr Bündel und legte die Reste ihres Proviants vor ihr auf den Boden.
    Crachna senkte nicht einmal den Blick. Ihre kleine Nase rümpfte sich. »Wir bevorzugen frisches Fleisch!«, sagte sie schrill, schnellte mit zwei großen Sätzen zur Seite und ergriff mit ihren Händen die Fäden des Netzes. Mit flinken Bewegungen zog sie sich hoch. Voller Grauen sah das Mädchen, wie aus ihren Seiten zwei weitere schwarze, haarige Beine sprossen. Der Leib verdickte sich und wurde kürzer. Dann entschwand sie.
    Tahâma ließ ihren Blick die glatten Wände hinaufwandern, aber sie konnte die Spinnenfrau nirgends mehr entdecken. »Was machen wir jetzt?« Sie fühlte sich mutlos und verzweifelt. »Wie sollen wir den Weg jemals finden?«
    »Als Erstes wäre es vernünftig, diese Schlucht hinter uns zu lassen«, antwortete Wurgluck. »Ich hätte kein gutes Gefühl dabei, zwischen diesen Wänden die Nacht zu verbringen.«
    Langsam gingen sie über den Felsboden zurück. Tahâma führte die Stute am Zügel. »Warum hat sie uns nicht gefressen?«, fragte sie nach einer Weile und schüttelte verwirrt den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«
    »Sie hat keine Eile, ihr saftiges Nachtmahl kann ihr nicht entkommen. Sieh nur!« Der Erdgnom blieb stehen und deutete nach vorn, wo einige Schritte entfernt nun ein zweites Netz ihren Weg versperrte. Hoch in der Wand, in einer Felsspalte verborgen, konnten sie Crachna kichern hören. Ratlos starrte der Erdgnom die vor ihm verknüpften Fäden an, die so dicht gesponnen waren, dass nicht einmal er hindurchschlüpfen konnte.
    Tahâma trat neben ihn und betrachtete das Netz. »So leicht lassen wir uns nicht verspeisen!« Sie zog Krísodul heraus und ließ die blaue Flamme durch die Spinnweben gleiten. Blutrote Funken sprühten, als die klebrigen Fäden aufflammten und verglühten.
    Crachna schrie vor Wut, aber die Freunde

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