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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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erklang. »Du bist gerissen und schlau und willst dein Ziel um jeden Preis erreichen. Das gefällt mir. Folge mir zu meiner Behausung. Du musst dich nicht fürchten. Ich schwöre dir, dich nicht anzurühren und dir bei deiner Suche mit allen meinen Kräften zu helfen.«
    »Ich fürchte mich nicht«, sagte Tahâma kühl. Sie nahm Wurgluck das Fläschchen wieder ab und träufelte je einen Tropfen in die getrübten Augen. Sie waren starr und ohne Wimpern oder Lider, kleine runde Spiegel, die sich nun wieder aufklarten.
    »Oh, welche Kraft durchfließt unseren Körper, welch Glanz erfüllt die Welt!«, rief die Spinnenfrau. »Komm schnell, folge uns!«
    Tahâma reichte Wurgluck die Flasche zurück. »Warte beim Lager auf mich. Bevor der Tag zu Ende geht, bin ich zurück.«
    »Hoffentlich«, murmelte der Erdgnom.
    Neugierig und von Spannung erfüllt, folgte Tahâma der Spinnenfrau durch die Schlucht. Obwohl Crachna sich offenkundig zügelte, war sie so flink, dass das Mädchen große Mühe hatte, über Felsen und Spalten hinweg mit ihr Schritt zu halten. Plötzlich blieb sie stehen und hob eine Hand. Tahâma brauchte eine Weile, ehe sie sah, worauf sie deutete: Unter einer hervorragenden Felsplatte öffnete sich in der Wand eine Höhlung.
    Es war nicht leicht, über die Felstrümmer bis dort hinaufzuklettern, doch schließlich erreichte Tahâma die Plattform, auf der Crachna schon ungeduldig wartete. Sie ließ ihren Kristall glimmen und folgte der Spinnenfrau in die Höhle. Ein Gewirr von Gängen durchzog den Berg. Mal niedrig und stickig, dann wieder hoch und weit. Sie durchquerten eine Felsenhalle, deren hohe Decke sich ihrem Lichtschein entzog. Durch einen Torbogen erreichten sie eine weitere Höhle mit kuppelartigem Gewölbe. Sie maß etwa zehn Schritte von einer Wand zur anderen. In der Mitte war ein rundes Lager von gläsernen schwarzen Steinen eingefasst. Lagen dort grüne Samtkissen, oder war es ein flaumiges Moos, das hier unten in der Höhle wuchs?
    Die Spinnenfrau blieb neben dem Lager stehen und wandte sich zu Tahâma um. »Lösche deinen Kristall«, forderte Crachna sie auf.
    Der Schein erstarb, aber zu Tahâmas Überraschung wurde es nicht finster. Ein gelblicher Lichtstrahl fiel durch eine Öffnung in der Decke und auf das grüne Lager.
    »Setz dich zu uns«, befahl Crachna. Tahâma zögerte einen Moment, ließ sich dann aber mit gekreuzten Beinen der Spinnenfrau gegenüber auf dem Mooslager nieder. »Nun, was begehrst du zu wissen?«, fragte diese.
    »Ich suche Tarî-Grôth, die Feste des Schattenlords.«
    Crachna kicherte. »Oh, das kommt selten vor! Ist sonst nicht jeder froh, sie niemals zu Gesicht zu bekommen?«
    »Das weiß ich auch«, erwiderte Tahâma, »dennoch werde ich dorthin gehen, wenn Ihr mir sagt, welche Richtung ich einschlagen muss.«
    »Es gibt viele Wege zu dem einen Ort, verschlungene und gerade, lange und kurze. Dunkel ist der Pfad, der dich zu ihm bringen wird«, murmelte sie. Ihre Stimme klang nun viel tiefer.
    Plötzlich bemerkte Tahâma, dass nicht mehr sie selbst sich in den starren, gläsernen Augen spiegelte. Sie sah eine Schlucht und einen düsteren Gang, der sich durch die Tiefen eines Berges wand. Er führte zu einem See, der in hellem Grün leuchtete. Der Weg teilte sich, führte zu beiden Seiten des Sees an seinen Ufern entlang und vereinte sich auf der anderen Seite wieder. Was war es, das dort schimmerte und glänzte? Sie konnte es nicht genau erkennen. Aber als sie ein Stück näher rückte, erlosch das Bild, und sie sah nur wieder sich selbst in den gläsernen Augen.
    »Kennst du nun deinen Weg?«, fragte die Spinnenfrau.
    Tahâma hob die Hände. »Manches konnte ich erkennen, aber wo beginnt der Pfad? Wie kann ich die Schlucht entdecken, und was war das hinter dem See?«
    »Wie viele, die mit ihren Augen sehen können, sind dennoch blind«, seufzte Crachna. »Siehst du dir die Welt nicht an, durch die du wanderst?«
    In ihrem Geist ließ Tahâma die Bilder noch einmal vorüberziehen. Sie stutzte. »Es ist diese Schlucht!«, rief sie erstaunt aus. »Der Zugang liegt hier!«
    »So ist es«, bestätigte Crachna. »Er wird von uns bewacht, und unsere Netze lassen niemanden hindurch.«
    »Warum?«, fragte das Mädchen. »Seid Ihr dem Schattenlord verpflichtet?«
    Crachna lachte. »Krol von Tarî-Grôth? Ich habe diese Schlucht schon bewacht, lang bevor es einen Schattenlord gab, ganze Zeitalter bevor diese Unholde die Lande durchstreiften. Damals gab es keine Nächte des

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