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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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verklangen. Die Stille kehrte zurück, aber die Spinnenfrau ließ sich nicht blicken. Wieder rief Tahâma. Nichts. Was sollte sie jetzt tun? Ihr blieb nichts anderes übrig, als hier in der großen Höhle zu warten. Irgendwann würde Crachna bestimmt wieder auftauchen. Tahâma ließ sich auf den Boden sinken und lehnte sich gegen die Wand. Wie lange würde die Spinnenfrau schlafen, fragte sie sich bang. Sie sang eine leise Melodie. Die Töne gaben ihr Trost. Sie schienen die Zeit zurückzubringen, als alles noch seine Ordnung gehabt hatte und der Vater noch an ihrer Seite war, um ihr Rat zu geben.
    Die Stunden schlichen dahin. Längst hatte sie aufgehört zu singen. In der Höhle war es nun so still, dass sie das Gefühl bekam, taub geworden zu sein. Der Kristall in ihrem Schoß war erloschen. Bald wusste sie nicht mehr, ob es noch Tag war oder schon wieder Nacht. Sie fühlte Durst und Hunger. Tiefe Müdigkeit begann sie zu quälen. Tahâma schloss die Augen. So saß sie an den rauen Stein gelehnt und lauschte ihren Atemzügen und dem eigenen Herzschlag.
    Was war das für ein Laut? Träge tröpfelte der Gedanke durch ihren Geist. Ein Geräusch? Tahâma fuhr hoch und riss die Augen auf. Ein paar Töne ließen den Kristall hell aufflammen und verjagten die Schatten.
    »Crachna? Seid Ihr das?«
    Rasch sah sie sich um, doch nichts regte sich um sie. Sie lauschte angestrengt. Ein feines Knirschen schwebte an ihr Ohr. Es kam aus dem Gang zu ihrer Linken! Den Stab mit beiden Händen umklammernd, trat sie vorsichtig an die Öffnung heran, sprang vor und sandte einen gleißenden Strahl in die Dunkelheit.
    »Nein, meine Augen!«, jammerte eine ihr vertraute Stimme. »Ich bin blind, für immer blind«, heulte die kleine, knorrige Gestalt, die sich nun auf dem Boden zusammenkauerte und ihre Augen mit den Händen bedeckte. Mit ein paar schnellen Schritten war Tahâma bei ihr und kniete sich neben ihr auf den Boden.
    »Wurgluck! Aber wie kommst du denn hierher?«
    »Na, wie wohl? Auf meinen Beinen«, schnaubte der Erdgnom und lugte vorsichtig zwischen den Fingern hindurch.
    »Ja, aber wie hast du mich gefunden?«
    Wurgluck blinzelte, dann stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. Offensichtlich hatte sein Augenlicht keinen Schaden davongetragen. Verschmitzt lächelte er das Mädchen an. »Meine Nase hat mich hergeführt«, sagte er und tippte sich mit dem Zeigefinger an das knollige Etwas in seinem Gesicht. »Erst sagte sie mir, dass du in Schwierigkeiten bist, und dann führte sie mich auf deine Spur.«
    »Du kannst Spuren riechen?«, fragte Tahâma erstaunt.
    »Aber ja«, erwiderte der Erdgnom, so als sei das selbstverständlich. »Innerhalb weniger Stunden ist es kein Problem, auf Waldboden nicht einmal, wenn ein ganzer Tag vergangen ist. Hier in dieser Höhle wurde es allerdings langsam schwierig«, gab er zu. »Vor allem, da es hier überall nach Spinne stinkt!« Angeekelt zog er die Nase kraus.
    »Gut«, sagte das Mädchen, »dann sage deiner Nase, sie soll uns schnell hier hinausführen. Ich traue Crachna nicht. Wer weiß, woran sie sich noch erinnert, wenn sie ihren Schlaf beendet hat.«
    »Bevor wir hier verschwinden, musst du noch dein Versprechen einlösen.« Der Gnom zog die wertvolle Phiole aus dem Rucksack und reichte sie Tahâma. »Warum hast du uns nie gesagt, dass sich das Kristallwasser in der Flasche von selbst erneuert?«, fragte er. »Wozu haben wir es aufgehoben und stets nach Quellen und Bächen gesucht?«
    »Ich habe es euch nicht gesagt, weil es nicht wahr ist«, antwortete Tahâma leise.
    Wurgluck verschluckte sich, lief rot an und hustete minutenlang, ehe er wieder etwas sagen konnte. »Du hast Crachna belogen?«
    »Ja und nein«, antwortete sie. »Ist die Flasche einmal geleert, kann sie sich nicht von selbst wieder füllen. Aber Crachna wird den Rest nicht brauchen. Das Kristallwasser hat ihre Augen für immer geklärt. Ich wollte es ihr nur nicht sagen, damit sie sich an unsere Abmachung hält.«
    Der Gnom schüttelte den Kopf. »Du erstaunst mich immer wieder.«
    »Ich möchte niemanden belügen«, verteidigte sich Tahâma, »aber es gibt ein höheres Ziel, das ich unter allen Umständen erreichen muss. Es ist nicht immer leicht, sich zu entscheiden.«
    Wurgluck zuckte mit den Schultern. »Wenn Crachna sie nicht mehr braucht, dann können wir die Flasche auch wieder mitnehmen«, sagte der Erdgnom und streckte die Hand danach aus.
    Tahâma schüttelte den Kopf. »Ich will sie nicht gänzlich

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