Die Seele des Feuers - 10
Geschichte, wie die Zauberer sie dir beigebracht haben.«
Kahlan schluckte, dann begann sie. »Nun, vor etlichen Jahrhunderten – möglicherweise vor bis zu zwei-, dreitausend Jahren – kam das Volk der Hakenier aus der Wildnis und überfiel Anderith. Man glaubt, sie seien ein weit entfernt lebendes Volk gewesen, dessen Land aus irgendeinem Grund unbewohnbar geworden war. Ähnliches ist auch schon an anderen Orten vorgekommen, zum Beispiel, wenn sich ein Flußlauf aufgrund eines Erdbebens oder einer Flutkatastrophe ändert. Ein ehemals fruchtbarer Landstrich wird zu trocken für Landwirtschaft oder Viehzucht. Ernten bleiben aus, und die Bewohner ziehen fort.
Wie dem auch sei, gemäß dem, was man mir beigebracht hat, gelang es den Hakeniern auf irgendeine Weise, die Dominie Dirtch zu passieren. Wie, weiß niemand. Viele von ihnen kamen dabei ums Leben, irgendwie gelang es ihnen jedoch, sie zu passieren, woraufhin sie das heute unter dem Namen Anderith bekannte Land eroberten.
Die Anderier waren größtenteils ein Nomadenvolk aus untereinander heftig zerstrittenen Stämmen. In Dingen wie Schriftsprache, Metallverarbeitung und Bauhandwerk oder dergleichen waren sie unterentwickelt, und ihre Gesellschaft war kaum organisiert. Kurzum, verglichen mit den hakenischen Eroberern waren sie rückständig. Nicht, daß sie unintelligent gewesen wären, nur waren die Hakenier ein Volk, das über ein höher entwickeltes Wissen und fortgeschrittene Methoden verfügte.
Auch die hakenischen Waffen waren überlegen. So verfügten sie zum Beispiel über eine Kavallerie und ein in weitem Umfang ausgeprägteres Verständnis von Koordination und Taktik. Sie hatten eine klare Befehlsstruktur, wohingegen die Anderier endlos darüber stritten, wer ihre Streitmacht anführen sollte. Dies war auch einer der Gründe, weshalb die Hakenier die Anderier nach Passieren der Dominie Dirtch mühelos bezwingen konnten.«
Richard reichte Kahlan einen Wasserschlauch. »Die Hakenier waren also ein kriegerisches Volk. Haben sie von den Eroberungen gelebt?«
Kahlan wischte sich das Wasser ab, das an ihrem Kinn herabtröpfelte. »Nein, es war nicht ihre Art, ein Land nur wegen der Beute oder der Sklaven zu erobern, denn sie führten keine reinen Beutekriege.
Sie brachten ihr umfassendes Wissen mit, angefangen bei der Herstellung von Lederschuhen bis hin zur Eisenverarbeitung. Ein des Schreibens und Lesens kundiges Volk, verstanden sie sich auf höhere Mathematik und wußten, wie man diese auf Projekte, wie zum Beispiel in der Architektur, anwendet.
Am meisten verstanden sie von Landwirtschaft in großem Stil, sie besaßen von Ochsen oder Pferden gezogene Pflüge anstelle der von Hand gehackten Gärten, wie sie die Anderier als Ergänzung zu ihren Jäger- und Sammlertätigkeiten unterhielten. Die Hakenier schufen Bewässerungssysteme und führten zusätzlich zu den anderen Getreidesorten Reis ein. Sie wußten, wie man bessere Getreidearten, wie zum Beispiel Weizen, entwickelt und kultiviert, die ihnen eine optimale Nutzung von Boden und Wasser ermöglichten. Sie waren erfahrene Pferdezüchter, auch wußten sie, wie man besseres Vieh heranzüchtete, und zogen große Herden auf.«
Kahlan gab den Wasserschlauch zurück und aß ein Stück Tavabrot. Sie gestikulierte mit dem angebissenen Brot.
»Wie bei Eroberungen üblich, herrschten die Hakenier, wie Sieger dies eben tun. Hakenische Sitten und Gebräuche ersetzten die anderischen. Friede kam über das Land, wenn auch ein von hakenischen Oberherren aufgezwungener. Ihr Vorgehen war hart, aber nicht brutal. Statt die Anderier abzuschlachten, wie bei vielen Eroberern gang und gäbe, gliederten sie die Anderier in die hakenische Gesellschaft ein, wenn auch anfangs nur als billige Arbeitskräfte.«
Richard unterbrach sie mit vollem Mund. »Dann haben die Anderier also auch von den hakenischen Sitten und Gebräuchen profitiert?«
»Ja. Unter der Führung der hakenischen Oberherrn gab es genug zu essen. Sowohl das hakenische als auch das anderische Volk gelangte zu Wohlstand. Die Einwohnerzahl der Anderier war stets gering gewesen, das Volk hatte kurz vor dem Aussterben gestanden. Angesichts des Nahrungsmittelüberflusses wuchs die Bevölkerung um ein Vielfaches.«
Du Chaillu bekam einen Hustenanfall, und jeder wandte sich zu ihr um. Richard ging in die Hocke und kramte in seinem Bündel, bis er ein Stoffpaket fand, das Nissel ihnen mitgegeben hatte. Er faltete es auseinander und fand darin einige
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