Die Seele des Feuers - 10
frage sie, warum sie die Fuhre nicht zum Anwesen bringen will. Sie meint, sie wolle eben einfach nicht. Darauf ich, das reicht mir nicht. Sie erwidert, sie wolle irgendwo anders hin doppelte Fuhren liefern. Sie sagt, als Strafe würde sie die ganze Nacht Geflügel zubereiten, aber auf das Anwesen wollte sie nicht mehr.
Also frage ich sie, warum sie nicht dorthin will, ob ihr jemand dort etwas angetan hat. Sie weigert sich, mir irgendwas zu erzählen. Weigert sich! Erklärt, sie will keine Fuhren mehr dorthin bringen, und mehr gebe es dazu nicht zu sagen.
Ich sage zu ihr, solange sie mir nicht erklärt, warum sie nicht mehr dorthin will, und zwar so, dass ich es auch verstehe, würde sie Fuhren zum Anwesen hinausbringen, ob ihr das nun gefällt oder nicht. Daraufhin fängt sie an zu weinen.«
Inger ballte abermals seine Faust.
»Nun kenne ich Beata schon, seit sie am Daumen genuckelt hat. Ich glaube, in den vergangenen zwölf Jahren habe ich das Mädchen kein einziges Mal weinen sehen – bis auf einmal. Ich hab gesehen, wie sie sich beim Metzgern ordentlich schnitt, ohne eine Träne zu vergießen, nicht mal, als ich sie nähte. Hat vor Schmerzen ziemlich das Gesicht verzogen, aber geweint hat sie nicht. Als ihre Mutter starb, da hat sie geweint. Aber das war das einzige Mal. Bis ich ihr heute sagte, sie müsse zum Anwesen fahren.
Also lieferte ich die Fuhre selber aus. Meister Campbell, nun weiß ich nicht, was hier vorgefallen ist, aber eins kann ich Euch verraten, was immer es war, es hat Beata zum Weinen gebracht, und das sagt mir, dass es nichts Gutes war. Vorher fuhr sie immer gern. Sie sprach in den höchsten Tönen vom Minister als einem Mann, den sie für alles achtete, was er für Anderith getan hat. Sie war stolz darauf, auf das Anwesen zu liefern. Das ist vorbei. Wie ich Beata kenne, würde ich sagen, irgend jemand hier hat sich mit ihr vergnügt. Und wie ich Beata kenne, hat sie nicht freiwillig mitgemacht. Ganz und gar nicht freiwillig. Wie gesagt, das Mädchen ist für mich fast wie eine Tochter.«
Dalton ließ die Augen nicht von dem Mann. »Sie ist Hakenierin.«
»Das ist wahr.« Inger ließ die Augen nicht von Dalton. »Nun, Meister Campbell, ich will den jungen Mann, der Beata wehgetan hat. Ich habe die feste Absicht, den Mann an einem Fleischerhaken aufzuhängen. Nach dem Geheul, das Beata veranstaltet hat, hab ich das Gefühl, es könnte nicht nur ein junger Mann gewesen sein, sondern vielleicht mehrere. Vielleicht hat eine ganze Bande von Burschen ihr etwas angetan. Ich weiß, Ihr seid ein viel beschäftigter Mann, schon wegen des Mordes an dieser Winthrop, möge ihre Seele ruhen, aber ich wüsste es sehr zu schätzen, wenn Ihr der Sache für mich nachgehen würdet. Ich habe nicht die Absicht, die Sache auf sich beruhen zu lassen.«
Dalton beugte sich vor und faltete die Hände auf dem Tisch.
»Ich kann Euch versichern, Inger, ich werde einen derartigen Vorfall auf dem Anwesen nicht dulden. Ich betrachte dies als überaus ernste Angelegenheit. Das Büro des Ministers für Kultur ist dazu da, dem anderischen Volk zu dienen. Es wäre das denkbar schlechteste Ergebnis, wenn einer oder mehrere Männer hier einer jungen Frau etwas angetan hätten.«
»Nicht ›hätten‹«, widersprach Inger. »Sie haben es getan.«
»Selbstverständlich. Ihr habt meine persönliche Zusicherung, dass ich der Sache persönlich bis zur Auflösung nachgehen werde. Ich dulde nicht, dass irgend jemand, Anderier oder Hakenier, hier auf dem Anwesen in irgendeiner Weise gefährdet ist, jeder hier muss sich vollkommen sicher fühlen können. Ich werde nicht zulassen, dass jemand, ob Anderier oder Hakenier, sich der Gerechtigkeit entzieht. Ihr müsst jedoch verstehen, dass seit der Ermordung einer Dame der Gesellschaft – und der möglichen Gefahr für das Leben anderer – meine Verantwortung in erster Linie dort liegt. Die Stadt ist in heller Aufregung deswegen. Die Menschen erwarten, dass ein derart schweres Verbrechen geahndet wird.«
Inger verneigte sich. »Verstehe. Ich verlasse mich ganz auf Euer Wort, dass ich den Namen des schuldigen jungen Mannes oder der Männer erfahre. Oder der nicht mehr ganz so jungen Männer.«
Dalton erhob sich. »Jung oder alt, wir werden nichts ungenutzt lassen, den Schuldigen zu finden. Darauf habt Ihr mein Wort.«
Inger ergriff Daltons Hand und drückte sie. Der Mann hatte einen malmenden Griff.
»Freut mich zu hören, dass ich zum richtigen Mann gekommen bin, Meister
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