Die Seele des Feuers - 10
Kämpfen ist als Grundlage ohne Zweifel wichtig, eigentlich aber eine überholte Funktion der Armee. Früher war die Armee ein Sammellager für alle Extremisten. Der blinde Eifer der Krieger erstickt die Gesellschaft, mit deren Schutz sie beauftragt sind.«
Sie lächelte abermals. »Die wichtigste Eignung ist Köpfchen, und in dieser Hinsicht sind Frauen mehr als ebenbürtig. Dank der Dominie Dirtch ist Muskelkraft eher nebensächlich. Die Waffe ersetzt die Muskelkraft, und in dieser Funktion ist sie unbesiegbar.
Frauen verfügen über das natürliche Einfühlungsvermögen, das man als Offizier braucht – denke zum Beispiel daran, wie ich dir erklärte, du müsstest deine alten Sachen fortwerfen. Männer machen sich nicht die Mühe, ihren Soldaten die Notwendigkeit irgendeiner Handlung zu erklären. Führerschaft bedeutet, diejenigen, die dem eigenen Befehl unterstellt sind, zu erziehen. Frauen bringen in das, was früher nicht viel mehr war als eine wilde Gemeinschaft mit dem Ziel der Zerstörung, Natürlichkeit ein.
Den Frauen, die Anderith verteidigen, wird die Anerkennung zuteil, die ihnen zusteht und die sie verdient haben. Wir helfen der Armee, einen Beitrag zu unserer Kultur zu leisten, statt diese, wie zuvor, einfach nur zu bedrohen.«
Beatas Blick fiel auf das Schwert an Lieutenant Yarrows Hüfte. »Werde ich auch ein Schwert und alles andere tragen dürfen?«
»Und alles andere, Beata. Schwerter dienen dazu, einen Gegner zu verwunden, um ihn abzuschrecken, und man wird dir beibringen, wie man das macht. Du wirst ein wertvolles Mitglied des dreiundzwanzigsten Regiments werden. Wir alle sind stolz darauf, unter Bertrand Chanboor zu dienen, dem Minister für Kultur.«
Das dreiundzwanzigste Regiment. Das war es also, wo Inger ihr geraten hatte, einzutreten.
Das dreiundzwanzigste Regiment bediente und bewachte die Dominie Dirtch. Inger hatte gesagt, Soldaten, die die Dominie Dirtch bedienten, hätten den besten Posten in der Armee und wären am besten angesehen. Er hatte sie als ›Elite‹ bezeichnet.
Beata musste an Inger zurückdenken. Fast kam es ihr vor, als sei das ein anderes Leben gewesen.
Sie hatte seine Metzgerei gerade verlassen wollen, als Inger sie sachte am Arm gefasst und sie noch einmal zu sich umgedreht hatte. Er hatte gesagt, er glaube, ein Mann auf dem Anwesen habe ihr sehr wehgetan, und sie gebeten, ihm zu erzählen, ob das stimme. Sie hatte genickt. Er hatte sie gebeten, ihm zu verraten, wer es gewesen sei.
Beata hatte ihm die Wahrheit gebeichtet.
Daraufhin hatte er sich geräuspert und erklärt, endlich verstehe er, warum sie fortgehen müsse. Inger war vermutlich der einzige Anderier, der ihr geglaubt hatte. Und dem es etwas ausmachte.
Inger hatte ihr ein gutes Leben gewünscht.
»Noch mal«, befahl der Captain.
Beata, die als Erste in der Reihe stand, hob ihr Schwert an und rannte los. Sie stieß ihre Waffe in die an einem Seil hängende Strohpuppe; diesmal bohrte sie ihr das Schwert mitten durchs Bein.
»Ausgezeichnet, Beata!«, meinte Captain Tolbert. Er lobte die Rekrutinnen stets, wenn er guthieß, was sie taten. Für Beata als Hakenierin war dieses Lob eine seltsame Erfahrung.
Sie wäre beinahe gestürzt, als sie der Strohpuppe das Schwert im Vorüberrennen wieder aus dem Bein ziehen wollte. Schließlich gelang es ihr, wenn auch ohne Eleganz. Die anderen schafften sogar das manchmal nicht.
Zum Glück hatte Beata jahrelange Erfahrung mit Messern. Deren Klingen waren zwar kleiner gewesen, aber sie wusste, wie man mit ihnen umging und in die beabsichtigte Stelle stach.
Als Hakenierin durfte Beata Messer angeblich nicht benutzen, weil es Waffen seien, da sie jedoch für einen Metzger gearbeitet hatte, sah man darüber hinweg, denn Metzger waren Anderier und hielten ihre Arbeiter an der kurzen Leine. Metzger ließen die hakenischen Mädchen und Frauen das Fleisch lediglich gemeinsam mit den Anderiern zerteilen. Die hakenischen Burschen und Männer, die für sie arbeiteten, waren hauptsächlich für das Heben und Tragen zuständig – Tätigkeiten, die den Umgang mit Messern nicht erforderlich machten.
Drei der anderen Rekrutinnen – Carine, Emmeline und Annette – waren ebenfalls Hakenierinnen und hatten vorher nie etwas Gefährlicheres als ein stumpfes Brotmesser in der Hand gehabt. Die vier anderischen Burschen – Turner, Norris, Karl und Bryce – stammten nicht aus wohlhabenden Familien und hatten ebenfalls noch kein Schwert in Händen gehalten, als Jungen
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