Die Seele des Feuers - 10
verweigern, sich aus freien Stücken dafür zu entscheiden? Wieso können nur die Anführer für ein Volk entscheiden? Was ist, wenn der Minister sich Jagang anschließen möchte? Würdest du in diesem Fall nicht wollen, dass das Volk Gelegenheit erhielte, den Anführer zu stürzen und sich stattdessen für die Freiheit zu entscheiden?«
Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, sichtlich außerstande, ihre Vorbehalte und Enttäuschungen in Worte zu fassen. »Wie du es formulierst, Richard, klingt es – vernünftig, trotzdem … Ich weiß nicht, nach meinem Empfinden wäre es ein Fehler. Was ist, wenn sie betrügen? Was ist, wenn sie die Menschen einschüchtern – sie bedrohen? Wie sollen wir je davon erfahren? Wer soll ein ganzes Volk dabei im Auge behalten, wie es seinen Willen bekundet? Wer soll darüber wachen, dass es bei der Auszählung mit rechten Dingen zugeht?«
Richard strich mit dem Daumen über den seidenen Ärmel ihres weißen Konfessorenkleides. »Also schön. Angenommen, wir stellen Bedingungen. Bedingungen, die sicherstellen, dass wir die Fäden in den Händen halten und nicht sie.«
»Zum Beispiel?«
»Wir haben eintausend Soldaten hier, die wir in sämtliche Städte und Ortschaften Anderiths schicken könnten, damit sie die Stimmabgabe der Menschen überwachen. Jeder könnte ein Zeichen auf ein Stück Papier machen – sagen wir, einen Kreis für den Anschluss, ein Kreuz dagegen. Anschließend könnten unsere Soldaten diese Zettel in Gewahrsam nehmen und ihre Auszählung überwachen. Damit würden sie sicherstellen, dass es gerecht zugeht.«
»Und woher sollen die Menschen wissen, worum es überhaupt geht, wie immer sie sich entscheiden?«
»Das werden wir ihnen erklären müssen. So groß ist Anderith nicht. Wir könnten die einzelnen Orte aufsuchen und den Menschen dort erklären, warum sie sich uns anschließen müssen – warum es für sie so wichtig ist und wie sie zu leiden hätten, sollten sie stattdessen in die Fänge der Imperialen Ordnung geraten. Falls die Wahrheit wirklich auf unserer Seite steht, sollte es nicht übermäßig schwierig sein, die Menschen dazu zu bringen, das zu erkennen.«
Sie biss sich auf die Unterlippe und dachte nach. »Wie lange soll das gehen? Berichten der Späher zufolge wird die Imperiale Ordnung in weniger als sechs Wochen so nahe sein, dass sie angreifen kann.«
»Dann sagen wir eben vier. Vier Wochen, dann stimmen die Menschen ab. Damit hätten wir mehr als genug Zeit, umherzuziehen, zu den Menschen zu sprechen und ihnen zu erklären, wie wichtig diese Angelegenheit ist. Wenn sie dann dem Anschluss an uns zugestimmt haben, bliebe uns genügend Zeit, die Armee hierher zu holen und Jagang mit Hilfe der Dominie Dirtch zu stoppen.«
Kahlan legte sich eine Hand auf den Bauch. »Das gefällt mir nicht, Richard.«
Er zuckte mit den Achseln. »Also gut. General Reibischs Armee befindet sich auf dem Weg hierher. Er wird vor Jagang hier eintreffen. Wir haben ihm aufgetragen, sich nördlich zu halten, außer Sichtweite, aber ebenso könnten wir mit unseren Männern die Dominie Dirtch einnehmen und die hiesige Regierung stürzen.
Nach allem, was ich von ihrer Armee gesehen habe, würde das nicht lange dauern.«
»Ich weiß«, sagte Kahlan, nachdenklich die Stirn runzelnd. »Eines verstehe ich nicht. Ich war doch früher bereits einmal hier, da war die anderische Armee eine gewaltige Streitmacht. Aber diese Soldaten, die wir gesehen haben, schienen kaum mehr als – Kinder zu sein.«
Richard sah aus dem Fenster. Wegen der vielen hell erleuchteten Fenster wurden die Parkanlagen so angestrahlt, dass man ihre Pracht unschwer erkennen konnte. Es schien ein friedlicher Ort zum Leben.
»Schlecht ausgebildete Kinder«, meinte er. »Ich verstehe das auch nicht. Außer, als die Soldatin an der Grenze meinte, man benötige nur einen Soldaten, um die Dominie Dirtch anzuschlagen. Vielleicht haben sie es nicht nötig, ihr Vermögen für den Unterhalt einer Armee auszugeben, wenn sie an der Grenze nur ein paar Soldaten zur Bemannung der Dominie Dirtch brauchen. Schließlich weißt du ebenso gut wie jeder andere, welch ungeheuren Geldmittel für den Unterhalt einer angemessenen Streitmacht aufgebracht werden müssen. Tag für Tag muss sie mit Lebensmitteln versorgt werden. Aus diesem Grund kommt Jagang doch überhaupt her. Vielleicht braucht Anderith seine Geldmittel gar nicht auszuschöpfen.«
Kahlan nickte. »Vielleicht. Ich weiß, der Minister für Kultur pflegt
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