Die Seele des Feuers - 10
Namen zu nennen.
»Ich tue meine Pflicht, Lady Chanboor, wie schwierig das auch sein mag. Ich weiß, nur das Ergebnis zählt.«
Sie drückte abermals sein Handgelenk, dann ließ sie ihn los. Nie hatte er sie eine seiner Leistungen so würdigen sehen. Claudine Winthrops Ende hatte ihm nicht einmal ein anerkennendes Nicken eingetragen.
Dalton wandte sich seiner Frau zu. Er hatte Vorsicht walten lassen; sie hatte seine geflüsterten Worte nicht mitbekommen; in ihrer Trauer bemerkte sie ihn nicht einmal. Er legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern.
»Geht es dir gut, Tess?«
»O Dalton, der arme Mann«, schluchzte sie. »Unser armer Herrscher. Möge der Schöpfer seinen unsterblichen Geist sicher an jenem erhabenen Ort verwahren, den er sich für sein Leben nach dem Tod verdient hat.«
Bertrand beugte sich hinter Daltons Rücken vorbei, um Teresa voller Mitgefühl die Hand auf den Arm zu legen. »Sehr schön gesagt, meine Liebe. Sehr schön gesagt. Ihr habt die liebevollen Gefühle aller auf den Punkt getroffen.«
Bertrand setzte seinen schwermütigsten Gesichtsausdruck auf, als er sich von seinem Sessel erhob. Statt wie sonst üblich die Hand zu heben, stand er schweigend da, den Kopf gesenkt, die Hände vor dem Körper gefaltet. Auf einen Fingerzeig Hildemaras verstummte die Harfe. Gelächter und Unterhaltungen verstummten, als die Anwesenden gewahrten, dass etwas Außergewöhnliches geschehen sein musste.
»Meine lieben Bewohner Anderiths, soeben habe ich eine höchst betrübliche Neuigkeit erhalten. Seit heute Abend sind wir ein verlorenes Volk, ein Volk ohne Herrscher.«
Statt, wie Dalton erwartet hatte, in Tuscheln auszubrechen, legte sich eine bestürzte Totenstille über den Saal. In diesem Augenblick begriff Dalton zum allerersten Mal wirklich, dass er sein ganzes Leben, von Geburt an, unter der Herrschaft des alten Herrschers gelebt hatte. Eine Ära war zu Ende gegangen. Vielen im Saal gingen zweifellos ähnliche Gedanken durch den Kopf.
Bertrand, aller Augen auf sich gerichtet, blinzelte, als müsste er seine Tränen unterdrücken. Als er fortfuhr, klang seine Stimme ruhig und erfüllt von Trauer.
»Verneigen wir alle unser Haupt und bitten, der Schöpfer möge den unsterblichen Geist unseres geliebten Herrschers an ebenjenem Ehrenplatz aufnehmen, den er sich durch sein ehrenvolles Schaffen verdient hat. Anschließend werde ich Euch Eurem Abendessen überlassen, denn ich muss auf meines verzichten und umgehend die Direktoren zur Pflicht rufen.
In Anbetracht der Dringlichkeit der Situation, da Lord Rahl und Kaiser Jagang um unsere Ergebenheit wetteifern und die dunkle Wolke des Krieges drohend über unseren Köpfen schwebt, werde ich im Namen des Volkes von Anderith die Direktoren ersuchen, noch heute Abend einen neuen Herrscher zu benennen, und darauf drängen, dass dieser Mann, wer immer es sein mag, am morgigen Tag zum Herrscher geweiht wird, damit uns wenigstens jene Führung zuteil wird, die unser alter Herrscher aufgrund seines hohen Alters und seiner angegriffenen Gesundheit uns nicht mehr zu geben vermochte.«
Teresa griff nach seinem Ärmel. »Dalton«, zischte sie, die weit aufgerissenen Augen voller Ehrerbietung auf Bertrand Chanboor gerichtet, »Dalton, ist dir eigentlich klar, dass er sehr gut unser nächster Herrscher werden kann?«
Dalton wollte die Unverblümtheit dieser plötzlichen Erkenntnis nicht zunichte machen und legte ihr sacht eine Hand auf den Rücken. »Wir dürfen hoffen, Tess.«
»Und beten auch«, erwiderte sie leise, die Augen voller glitzernder Tränen.
Bertrand breitete vor den feuchten Augen der verängstigten Menge die Hände aus.
»Bitte, liebe Freunde, senkt nun gemeinsam mit mir das Haupt zum Gebet.«
Dalton, der nahe der Tür auf und ab lief, ergriff Francas Arm, gleich nachdem sie hereingekommen war. Er schloss die Tür.
»Freut mich, dich zu sehen, meine liebe Franca. Und Gelegenheit zu erhalten, mit dir zu sprechen. Es ist lange her. Danke, dass du gekommen bist.«
»Du sagtest, es sei wichtig.«
»Ja, das ist es wohl.« Dalton machte eine auffordernde Handbewegung. »Bitte, nimm doch Platz.«
Franca strich ihr Kleid glatt und setzte sich in den gepolsterten Sessel vor seinem Schreibtisch. Dalton, der ihr näher sein und weniger förmlich als hinter seinem Schreibtisch wirken wollte, lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
Er spürte einen Gegenstand unter seinem Hinterteil. Dann sah er, was es war, und schob das kleine Buch von Joseph Ander
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