Die Seele des Königs (German Edition)
Habseligkeiten bildeten sie die spärliche Möblierung des Raumes. Das einzige Fenster hatte einen verzogenen Rahmen, der die Zugluft hereinließ, und sogar die Wände hatten Risse und Spalten.
» Ein Rätsel?«, fragte Shai, hielt sich den Stempel dicht vor die Augen und betrachtete ihre Arbeit eingehend. » Was für ein Rätsel?«
» Du bist eine Fälscherin. Deshalb können wir dich nicht unbeaufsichtigt lassen. Du würdest weglaufen, sobald du einen Fluchtweg entdeckt hast.«
» Dann lasst die Wächter bei mir«, sagte Shai und schnitzte noch ein wenig an dem Stein herum.
» Entschuldigung«, erwiderte Gaotona, » aber ich bezweifle, dass es lange dauern würde, bis du sie entweder bestochen oder bedroht oder gar erpresst hast.«
Tzu versteifte sich neben ihm.
» Ich will dich damit nicht beleidigen, Hauptmann«, sagte Gaotona. » Ich setze großes Vertrauen in deine Leute, aber wir haben hier eine Meisterbetrügerin, eine Lügnerin und Diebin vor uns. Deine besten Wächter würden irgendwann zu Lehm in ihren Händen werden.«
» Danke«, sagte Shai.
» Das war kein Kompliment. Was du und deinesgleichen berühren, ist verdorben. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, weil ich dich einen ganzen Tag unter der Aufsicht Sterblicher gelassen habe. Nach alldem, was ich über dich weiß, könntest du sogar die Götter selbst um den Finger wickeln.«
Sie arbeitete weiter.
» Ich darf nicht einmal darauf vertrauen, dass Fesseln dich halten werden«, sagte Gaotona leise, » denn damit du an unserem … Problem arbeiten kannst, müssen wir dir Seelenstein zur Verfügung stellen. Du könntest deine Fesseln in Seife verwandeln und dann lachend in der Nacht entkommen.«
Diese Aussage verriet natürlich völlige Verständnislosigkeit, was die Funktionsweise der Fälscherei betraf. Eine Fälschung musste glaubhaft und wahrscheinlich sein, sonst wirkte sie nicht. Wer würde Fesseln aus Seife herstellen? Das wäre doch lächerlich.
Allerdings könnte es ihr gelingen, die Herkunft und Zusammensetzung der Kette herauszufinden und dann das eine oder das andere umzuschreiben. Sie könnte die Vergangenheit der Kette fälschen und festlegen, dass eines ihrer Glieder schlecht geschmiedet worden war, was einen Fehler darstellen würde, den sie sich zunutze machen konnte. Selbst wenn es ihr nicht gelingen sollte, die genaue Geschichte der Kette in Erfahrung zu bringen, könnte sie entkommen. Ein unvollkommener Stempel hielt nicht ewig, und sie würde nur wenige Augenblicke benötigen, um das Glied mit einem Meißel zu zerschmettern.
Man konnte auch eine Kette aus Ralkalest schmieden, dem unfälschbaren Metall, aber das würde ihre Flucht nur ein wenig hinauszögern. Mit genug Zeit und Seelenstein würde sie eine Lösung finden. Sie würde die Wand fälschen, sodass diese eine schwache Stelle oder einen Riss bekam, damit Shai die Kette aus ihr herausziehen konnte. Oder sie würde die Decke fälschen, sodass sie einen lockeren Quader bekam, der dann herunterfiel und die schwachen Kettenglieder aus Ralkalest zermalmte.
Aber sie wollte etwas so Extremes nicht tun, wenn es nicht unbedingt sein musste. » Ich verstehe nicht, warum Ihr Euch Sorgen wegen mir macht«, sagte Shai, während sie weiterarbeitete. » Ich bin fasziniert von dem, was wir tun, und mir wurde großer Reichtum versprochen. Das reicht aus, um mich hierzubehalten. Vergesst nicht, dass ich auch aus meiner vorigen Zelle jederzeit hätte entkommen können.«
» Ach ja«, sagte Gaotona, » die Zelle, in der du deine Fälscherkunst anwenden wolltest, um mitten durch die Wand zu gehen. Aus reiner Neugier würde ich gern wissen, ob du Anthrazit studiert hast – jenen Stein, in den du die Wand verwandeln wolltest. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass er nur sehr schwer in Brand gesetzt werden kann.«
Er ist viel schlauer, als man ihm zugestehen will .
Es wäre schwierig, Anthrazit mit einer Kerzenflamme zu entzünden. Auf dem Papier brannte der Stein bei der richtigen Temperatur, aber diese zu erreichen, war sehr aufwändig. » Es wäre mir ohne Weiteres möglich gewesen, die passende Hitze mit etwas Holz aus meiner Pritsche und einigen Steinen zu erzeugen, die ich zu Kohlen umgewandelt hätte.«
» Ohne einen Brennofen?«, fragte Gaotona und klang leise belustigt. » Und ohne Blasebalg? Aber darum geht es jetzt nicht. Sag mir, wie wolltest du innerhalb einer Zelle überleben , deren Wände mit über zweitausend Grad brennen? Würde das Feuer nicht die ganze Atemluft
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