Die Seele des Königs (German Edition)
dort nur zwei völlig verängstigte Stallburschen vor. Sie wählte das beste Pferd aus. Und so kam es, dass Shaizan in Tzus Mantel und auf seinem Pferd durch die Palasttore galoppierte, und kein Mann und keine Frau versuchte sie aufzuhalten.
» Hat sie die Wahrheit gesagt, Gaotona?«, fragte Ashravan, während er sich im Spiegel betrachtete.
Gaotona schaute von seinem Sitz auf. Hat sie das? , dachte er. Bei Shai wusste er nie, was er glauben sollte.
Ashravan hatte darauf bestanden, sich allein anzuziehen, auch wenn er von seiner langen Bettlägerigkeit offenbar noch sehr schwach war. Gaotona saß auf einem Schemel in der Nähe und versuchte, mit einer ganzen Sturzflut von Empfindungen fertigzuwerden.
» Gaotona?«, fragte Ashravan und wandte sich ihm zu. » Bin ich verwundet worden, wie diese Frau gesagt hat? Ihr seid zu einer Fälscherin gegangen, um mich heilen zu lassen, statt zu einem unserer ausgebildeten Neusiegler?«
» Ja, Euer Majestät.«
Das Mienenspiel , dachte Gaotona. Wie hat sie das hinbekommen? Die Art, wie er die Stirn runzelt, bevor er eine Frage stellt. Die Art, wie er den Kopf schräg hält, wenn er nicht sofort eine Antwort erhält. Die Art, wie er steht, wie er die Finger bewegt, wenn er etwas sagt, was er für besonders wichtig hält …
» Eine MaiPon-Fälscherin«, sagte der Kaiser, während er seinen goldenen Mantel anlegte. » Ich glaube kaum, dass das nötig war.«
» Eure Wunden haben die Fähigkeiten unserer Neusiegler überstiegen.«
» Ich dachte, nichts kann ihre Fähigkeiten übersteigen.«
» Das dachten wir auch.«
Der Kaiser betrachtete das rote Siegel an seinem Arm und machte eine angespannte Miene. » Das ist wie eine Fessel, Gaotona. Wie ein Gewicht.«
» Ihr werdet es ertragen müssen.«
Ashravan wandte sich ihm wieder zu. » Wie ich sehe, hat der Beinahe-Tod Eures Lehensherrn Euch nicht respektvoller gemacht, alter Mann.«
» Ich bin in letzter Zeit sehr müde, Euer Majestät.«
» Ihr urteilt über mich«, sagte Ashravan und schaute wieder in den Spiegel. » Das habt Ihr immer schon getan. Eines Tages werde ich mich Eurer entledigen. Das wisst Ihr, nicht wahr? Ich dulde Euch nur wegen Eurer damaligen Dienste in meiner Nähe.«
Es war unheimlich. Das war Ashravan. Diese Fälschung war so genau, so vollkommen, dass Gaotona die Wahrheit niemals vermutet hätte, wenn er sie nicht kennen würde. Er wollte glauben, dass die Seele des Kaisers immer in seinem Körper gewesen war und das Siegel sie nur … wiederentdeckt hatte.
Das war eine Lüge, mit der er leben konnte. Vielleicht würde Gaotona sie sogar irgendwann glauben. Doch leider hatte er die Augen des Kaisers nach dem Attentat gesehen, und er wusste … er wusste , was Shai getan hatte.
» Ich werde jetzt zu den anderen Schlichtern gehen, Euer Majestät«, sagte Gaotona und stand auf. » Sie wollen Euch sehen.«
» Also gut. Ihr seid entlassen.«
Gaotona schritt auf die Tür zu.
» Gaotona.«
Er drehte sich um.
» Ich habe drei Monate im Bett verbracht«, sagte der Kaiser und betrachtete sich im Spiegel, » und niemand durfte mich sehen. Die Neusiegler konnten nichts tun. Sie können aber jede gewöhnliche Wunde heilen. Es hatte etwas mit meinem Geist zu tun, nicht wahr?«
Das hätte er nicht herausfinden sollen , dachte Gaotona. Sie hat gesagt, dass sie das nicht in ihn einschreiben wird .
Aber Ashravan war ein kluger Mann. Er war schon immer ein kluger Mann gewesen. Shai hatte ihn wiederhergestellt, und es wäre ihr niemals möglich gewesen, ihn vom Denken abzubringen.
» Ja, Euer Majestät«, sagte Gaotona.
Ashravan stieß ein leises Grunzen aus. » Ihr habt Glück, dass Eure List gewirkt hat. Ihr hättet meine Denkfähigkeit ruinieren können – Ihr hättet sogar meine Seele verkaufen können. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Euch dafür, dass Ihr dieses Risiko eingegangen seid, belohnen oder bestrafen soll.«
» Ich versichere Euch, Majestät«, sagte Gaotona, als er die Tür öffnete, » dass ich mir während der letzten Monate schon selbst großen Lohn und strenge Bestrafung gewährt habe.«
Dann ging er, während der Kaiser weiterhin in den Spiegel starrte und über Auswirkungen dessen nachdachte, was mit ihm gemacht worden war.
Ob es nun gut oder schlecht war, sie hatten ihren Kaiser zurück.
Oder zumindest eine Kopie von ihm.
EPILOG: TAG HUNDERT
U nd so hoffe ich«, sagte Ashravan zu den versammelten Schlichtern der achtzig Fraktionen, » dass ich damit gewisse schädliche
Weitere Kostenlose Bücher