Die Seele des Königs (German Edition)
hielt ein silbernes Tablett in den Händen. Megan vom Reinigungspersonal – natürlich real – eilte hinter ihm hinauf und hastete mit gesenktem Kopf und schnellen Schritten an uns vorbei.
» Sie wird bald kündigen«, sagte Ivy. » Du solltest wirklich versuchen, weniger seltsam zu sein.«
» Das ist viel verlangt, Ivy«, murmelte ich und sah die Post durch. » Vor allem, solange ihr in der Nähe seid.« Da! Ein weiterer Umschlag, identisch mit dem ersten. Hastig riss ich ihn auf und zog ein weiteres Bild heraus.
Dieses hier war verschwommener. Es zeigte einen Mann, der mit einem Handtuch um den Hals vor einer Badewanne stand. Seine Umgebung wirkte altmodisch. Es war ebenfalls eine Schwarz-Weiß-Aufnahme.
Ich übergab das Foto an Tobias. Er nahm es, hielt es hoch und betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen, um die sich die Haut ein wenig runzelte.
» Also?«, fragte Ivy.
» Er wirkt vertraut«, sagte ich. » Ich habe den Eindruck, ich sollte ihn kennen.«
» George Washington«, sagte Tobias. » Anscheinend bei der Morgenrasur. Ich bin überrascht, dass er niemanden hatte, der ihm dabei half.«
» Er war ein Soldat«, sagte ich und nahm das Foto wieder an mich. » Vermutlich war er daran gewöhnt, solche Dinge selbst zu tun.« Ich fuhr mit den Fingern über das glänzende Papier. Die ersten Daguerreotypien – die frühen Fotografien – waren um 1835 entstanden. Davor war niemand in der Lage gewesen, Bilder dieser Art zu machen. Washington war 1799 gestorben.
» Also, das hier ist offensichtlich eine Fälschung«, sagte Ivy. » Ein Foto von George Washington? Sollen wir etwa annehmen, dass jemand in der Zeit zurückgereist ist und ausgerechnet ein Foto von George im Badezimmer geschossen hat? Man spielt uns einen Streich, Steve.«
» Vielleicht«, gestand ich ein.
» Er wirklich tatsächlich wie George Washington«, sagte Tobias.
» Allerdings haben wir keine Fotos von ihm«, meinte Ivy. » Also können wir es nicht beweisen. Dazu war doch bloß nötig, einen Schauspieler anzuheuern, der ihm ähnlich sieht, dann das Foto zu stellen und auf den Auslöser zu drücken. Man hätte es nicht einmal bearbeiten müssen.«
» Mal sehen, was Armando darüber denkt«, sagte ich und drehte das Foto um. Auf der Rückseite befand sich eine Telefonnummer. » Aber zuerst sollte jemand Audrey holen.«
» Nun dürft ihr euch Seiner Majestät nähern«, sagte Armando. Er stand vor seinem Fenster, das dreieckig war – er bewohnte eines der höchstgelegenen Zimmer des Hauses. Er hatte es so gewollt.
» Darf ich auf ihn schießen?«, fragte J. C. mich leise. » Du weißt schon – auf eine Stelle, die nicht wichtig ist. Vielleicht in den Fuß.«
» Das hat Seine Majestät gehört«, sagte Armando mit weichem spanischem Akzent und richtete seinen keineswegs amüsierten Blick auf uns. » Stephen Leeds. Hast du das Versprechen erfüllt, das du mir gegeben hast? Ich muss den Thron zurückerhalten.«
» Wir arbeiten daran, Armando«, sagte ich und reichte ihm das Foto entgegen. » Wir haben wieder eins bekommen.«
Armando seufzte und nahm mir die Aufnahme aus der Hand. Er war ein dünner Mann mit schwarzem Haar, das er eingeölt und zurückgekämmt trug. » Armando geruht, dein Bittgesuch wohlwollend anzunehmen.« Er hielt das Foto hoch.
» Weißt du, Steve«, meinte Ivy und kam durch den Raum auf uns zu, » wenn du schon Halluzinationen erschaffst, dann solltest du einmal daran denken, sie weniger unangenehm zu gestalten.«
» Schweige still, Frau«, sagte Armando. » Hast du die Bitte Seiner Majestät überdacht?«
» Ich werde dich nicht heiraten, Armando.«
» Aber dann wärest du eine Königin!«
» Du hast keinen Thron. Und als ich das letzte Mal nachgesehen habe, hatte Mexiko einen Präsidenten und keinen König.«
» Drogenbarone bedrohen mein Volk«, sagte Armando und betrachtete das Bild. » Es verhungert und ist gezwungen, sich den Launen fremder Mächte zu beugen. Das ist eine Schmach. Dieses Bild ist echt.« Er gab es mir zurück.
» Das ist alles?«, fragte ich. » Musst du keinen von diesen Computer-Tests machen?«
» Bin ich etwa nicht der Experte für Fotografie?«, entgegnete Armando. » Bist du etwa nicht mit einer erbärmlichen Bitte zu mir gekommen? Ich habe gesprochen. Es ist echt. Keine Tricks. Aber der Fotograf ist ein Hanswurst. Er weiß nichts über die Kunst dieses Handwerks. Diese Bilder beleidigen mich mit ihrer vollkommenen Durchschnittlichkeit.« Er drehte uns den Rücken zu
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