Die Seele des Ozeans (German Edition)
Außen Zweiundvierzig, innen ein launischer Dreizehnjähriger.
„Es würde mich nicht wundern“, amüsierte er sich, „wenn Henrys Bemühungen für unsere Sardine Grund genug sind, die Menschenwelt für immer zu vergessen. Wahrscheinlich kommt er gleich da raus, sieht aus wie Mrs. Doubtfire und stürzt sich auf Nimmerwiedersehen ins Meer.“
Unwillkürlich entfloh Fae bei dieser Vorstellung ein Kichern. „Du elendes Schandmaul.“
„Hoffen wir, dass er ihm nicht den Mascara-Stift ins Auge sticht. Oder ihm Lipgloss verpasst.“
„Es geht hier nur um Tarnung, nicht darum, ihn in einen Korallenfisch zu verwandeln.“
Alexander öffnete gerade den Mund für eine weitere Bemerkung, als sich die Tür öffnete. Henry erschien, einen dunklen Streifen auf der Wange, die schwarzen Haare zu Berge stehend und mit einem solch selbstzufriedenen Grinsen im Gesicht, dass er Fae an einen strahlenden Vollmond erinnerte. Na bitte. Ihrem gemeinsamen Museumsbesuch mit Kjell stand nichts mehr im Wege. Der ganze Tag würde nur ihnen allein gehören. Das Museum interessierte sie nicht, Belfasts Pubs, Cafés und sonstige Sehenswürdigkeiten ebenso wenig. Alles, was zählte, war ein gemeinsamer Ausflug mit Kjell.
„Es ist nicht perfekt geworden.“ Henrys stolzer Blick strafte seine Selbstkritik Lügen. „Aber es dürfte genügen. Darf ich euch vorstellen? Ein fast gewöhnlicher Mensch.“
„Mrs. Doubtfire“, tuschelte Alexander.
Doch seine spöttische Miene wurde ihm nur eine Sekunde später aus dem Gesicht gefegt.
Hinter Henry tauchte eine Gestalt auf, deren Anblick Fae einen ungläubigen Laut entriss. Ja, ein fast gewöhnlicher Mensch! Aus Alexanders Kleiderschrank hatten sie gemeinsam einen schwarzen Anzug ausgesucht, der schlicht genug war, um nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen, und zugleich so elegant, wie es sich für einen Besuch in einem weltberühmten Museum gehörte. Es war die perfekte Wahl gewesen, wie sich nunmehr herausstellte.
„Er sitzt wie angegossen“, bemerkte Alexander mit einem kühlen Unterton. „Auch wenn diese Erkenntnis schmerzt: Dir steht er besser als mir.“
Kjell lächelte zaghaft. Das Türkis seiner Augen war immer noch auffällig und würde Blicke auf sich ziehen, aber die Pupillen sahen menschlich aus. Dank Henrys Geschick war das gespenstische Schimmern seiner Haut verschwunden, er hatte es sogar geschafft, ihr einen Hauch normalsterblicher Farbe zu verleihen. Die rauchgrauen Brauen waren nachgedunkelt, Kjells Haare hatte er mit einem schlichten schwarzen Band zusammengebunden, so dass deren ungewöhnliche Farbe nicht so sehr ins Auge stach, wie wenn er sie offen getragen hätte. Unter dem schwarzen Jackett blitzte der Kragen eines weißen Hemdes hervor, um den Hals trug er ein Lederband, an dem ein kleiner, silberner Ring baumelte.
„Perfekt“, flüsterte Fae.
Sie stand auf, ging einen Schritt auf Kjell zu und verharrte, als sein Blick sie von oben bis unten verschlang. Seine Augen weiteten sich. Er öffnet den Mund, gab ein leises Keuchen von sich und klappte ihn wieder zu.
„Was ist?“
„Du …“, er schluckte schwer, „du siehst wunderschön aus.“
„Wirklich?“ Fae blickte an sich herab. Die beigefarbene, enge Hose hatte sie noch nie getragen, die dunkelbraunen Schnürlederstiefel ebenso wenig. Nur die zimtfarbene Tunika, auf der unzählige kupfer- und bronzefarbene Perlen schimmerten, war schon einmal ihre Begleiterin auf eine Studentenparty gewesen. Fae wurde für einen kurzen Augenblick nostalgisch zumute. Alles, was sie trug, waren Kleidungsstücke aus einem anderen Leben, aus einer anderen Zeit. Gekauft kurz vor dem Arztbesuch, der alles verändert hatte.
Kjell griff nach vorne und strich über die kleinen, glänzenden Perlen. Sein Zeigefinger wanderte in ihren Ausschnitt, berührte die kleine Muschel, die sie an einer silbernen Kette trug, und glitt zu ihrem Mund hinauf. Federleicht strich er mit dem Daumen über ihre Lippen, sah sie eine Weile schweigend an und beugte sich vor, um einen hauchzarten Kuss auf ihren Mund zu hauchen. Ihre Beine lösten sich in watteweiches Kribbeln auf. Alles um sie herum rückte in weite Ferne, kapselte sich von ihr ab und berührte kaum die Blase, in die sie und Kjell eingeschlossen waren. Sie berührte ihn, schmeckte ihn, atmete seinen Atem.
„Glückwunsch, Henry“, erklang Alexanders Stimme von weither. „Das ist eine Glanzleistung. Darf ich fragen, warum du aus der Filmbranche ausgestiegen bist?“
„Ich hatte
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