Die Seele des Ozeans (German Edition)
zaghaft. „Ich …“
„Ja?“, raunte er behaglich.
Sie räkelte sich an seiner Brust, spürte den sanften und zugleich festen Griff seiner Arme und sprach ihren Gedanken einfach aus: „Ich bin froh, dass du bei mir bist.“
„Das bin ich auch. Mehr, als du dir vorstellen kannst.“
„Bleibst du bei mir?“
Er sah auf sie hinab. Sein Lächeln wirkte seltsam. Glücklich und zugleich gequält. „Solange ich kann, Fae.“
„Nein.“ Sie strich über sein nasses Haar und schüttelte den Kopf. „Das war nicht die Antwort, die ich hören wollte.“
„Es ist die einzige, die ich dir geben kann.“
„Was meinst du damit?“
„Mach dir keine Gedanken.“ Er drückte ihren Kopf sanft gegen seine Brust und umarmte sie noch fester, als befürchtete er, irgendeine Macht könnte sie von ihm fortreißen. Fae spürte das beruhigende Auf und Ab seines Atems und die Wärme seiner Haut unter dem dünnen Stoff.
„Ich bin immer bei dir“, sagte er. „Egal wie. Ich weiß nicht warum, aber ich spüre, dass wir zusammengehören.“
„Manchmal vergesse ich, dass wir uns erst seit ein paar Tagen kennen.“
„Ist das so? Wenn du mich fragst, kannten wir uns schon immer.“
Und was bedeutet das?, wollte sie fragen. Was hat das Schicksal mit uns vor, wenn es uns so fühlen lässt?
Aber Fae schwieg.
~ Gegenwart, August 2052 ~
„Kjell? Hörst du mich? Bitte komm runter!“
Seine Sinne lösten sich unter solchen Mühen aus der Geschichte, dass er das Gefühl bekam, die Buchstaben bestünden aus Teer und hätten sich an seinem Gehirn festgesaugt. Wer hatte gerufen? Fae?
Orientierungslos blinzelte er ins Dunkel hinein. Ah ja, er war hier. In Irland, in seinem alten Zimmer. Grundgütiger, er hatte das Gefühl, Monate fortgewesen zu sein. Seine angewinkelten Beine kribbelten und schmerzten. Als er sich aus dem Bett schälte und die nackten Füße auf den Boden stellte, stachen Nadeln in seine eingeschlafenen Gliedmaßen. Kjell seufzte. Seine Beine fühlten sich wie zwei Fremdkörper an, taub und gespickt mit unsichtbaren Stacheln. Vielleicht hatte er zu viel von Flossen und Schuppen gelesen, und zu viel davon, schwerelos im Wasser zu schweben.
„Komm bitte runter!“ Faes Stimme wurde fordernder. Geduldig war seine Mutter noch nie gewesen. „Hast du gehört?“
„Ja ja.“ Warum fühlte er sich zurück in sein Kleinkindalter versetzt? „Beruhige dich, Mum. Manchmal bist du schlimmer als Daniel.“
„Zieh dir was Warmes an.“
„Dann dauert es etwa dreißig Sekunden länger, fürchte ich.“
Willkommen zuhause. Kein Mensch auf Erden schaffte es, ihm das Gefühl zu geben, ein fünfjähriger Bengel zu sein, dem man nach Belieben die Ohren langziehen konnte.
Er schlüpfte in eine Jeans, zog einen schwarzen Wollpullover über sein Shirt und wickelte sich den dunkelblauen Schal um den Hals, den Fae ihm zum letzten Weihnachtsfest gestrickt hatte. Brauchte er überhaupt all diese Sachen oder könnte er in Unterwäsche nach draußen gehen, ohne zu frieren?
„Gut siehst du aus.“ Seine Mutter stand aufbruchbereit im Wohnzimmer. Wieder trug sie ihren uralten Mantel – ein kunterbuntes Ding aus planlos zusammengenähten Stofffetzen in allen nur erdenklichen Farben und Mustern. Ihr Bruder hatte ihn ihr zum vierzigsten Geburtstag geschenkt, zwei Tage vor seinem tödlichen Tauchunfall. Alt war seine Mutter nie geworden. Diese Form von unzerstörbarer, innerer Jugend schien in der Familie zu liegen.
„Bist du bereit für einen kleinen Ausflug?“
„Jederzeit.“
Fae nickte zufrieden. Als sie hinaus in die Nacht trat und sich ein Stück von ihm entfernte, erlag er der Illusion, ein junges Mädchen ginge vor ihm her. Sie war so klein und zerbrechlich. Überwältigt von dem Drang, sie zu beschützen, schloss er zu ihr auf und legte einen Arm um ihre knochigen Schultern. Könnte er Alter und Krankheit nur von ihr fernhalten, so wie sein Namensvetter im Buch.
„Ist dir nicht kalt, Mum?“
„Mir ist genauso wenig kalt wie dir. Dabei hast du noch viel weniger an als ich.“
Er grinste dürftig. Stimmt, kalt war ihm nicht, stattdessen fühlte er sich heiß und fiebrig. Das Kribbeln war aus seinen Beinen verschwunden und hatte sich stattdessen im Kopf eingenistet. Er brütete etwas aus, eindeutig. Und das kurz vor seiner wichtigsten und größten Vortragsreihe. Vielleicht wäre es besser, den nächtlichen Ausflug auf morgen zu verschieben, aber Kjell behielt diese Überlegung für sich. Erstens sah seine Mutter aus,
Weitere Kostenlose Bücher