Die Seele des Ozeans (German Edition)
Geräuschen wurde. Erst als sie an Bord des Schiffes geklettert und ihr schweres Gepäck losgeworden waren, verringerten sich die grellen Sinneseindrücke auf ein erträgliches Maß.
Fae stand vor ihm und begann zu weinen. Einen Moment lang durchzuckte ihn Sorge, doch dann spürte er, dass es reines Glück war. Menschen weinten aus vielen Gründen, aber diese Tränen sah er zum ersten Mal.
Kjell zog die Kleidung an, die Henry ihm reichte – eine weiße, weite Hose und ein hellbraunes Hemd –, setzte sich an den Rand des Schiffes und ließ die Beine durch die Stäbe der Reling baumeln. Als Fae sich neben ihn setzte, eingekuschelt in einen schwarzen Rollkragenpullover, schwiegen sie eine Weile und beobachteten die durch die Tiefe huschenden Delfine. Währenddessen tauschten Alexander und der Hawaiianer in aller Hast ihre leeren Flaschen gegen neue aus.
„Wir haben nur noch drei volle“, rief Ukulele. „Einer muss hier bleiben. Henry, du kannst mit runter. Wenn Fae nochmal ins Wasser will, bleibe ich gerne auf dem Schiff.“
„Geht nur“, sagte sie. „Ich bleibe bei Kjell.“
„Bist du dir sicher?“ Durch Ukuleles Augen huschte ein erfreutes Funkeln. „Wirklich?“
„Yep. Bin ich.“
Alexander wuchtete die Flaschen in das Schlauchboot, kletterte wieder an Deck und kniete sich neben ihnen nieder. „Das war der Hammer, Junge. Wenn du je irgendwas willst oder brauchst, ich schulde dir was.“
Kjell lächelte. „Ich will einfach nur bei Fae sein.“
Sie kicherte und verfärbte sich wie ein Tintenfisch.
Ein köstlicher Duft stieg ihm in die Nase, zog sofort in die unteren Regionen seines Körpers und füllte sie mit wimmelndem Krill. Ihm wurde einen Atemzug lang schwarz vor Augen. Das Gefühl war neu und so heftig, dass es kaum von körperlichem Schmerz zu unterscheiden war, aber er glaubte zu wissen, was es bedeutete.
Sein Blick wanderte über die drei Männer. Ob Menschen sich daran störten, wenn ihresgleichen bei der Paarung zusah? Er hatte Bilder gesehen und Beschreibungen gelesen, die ihm verraten hatten, was man tun musste. Aber das menschliche Denken und Handeln steckte voller Überraschungen.
„Kannst du sie wirklich rufen?“, wollte Alexander wissen. „Reden sie wie Menschen miteinander?“
„Nicht wie Menschen. Aber so ähnlich. Ihre Sprache ist sehr einfach. Viel einfacher als eure.“
„Kannst du was auf Walisch sagen?“
„Könnte ich. Aber das würde dir nichts nützen.“
„Warum?“
„Die meisten Töne könnt ihr nicht hören.“
„Stimmt. Mach es trotzdem.“
„Nicht an der Luft.“
„Dann im Wasser. Wir könnten es aufnehmen.“
„Im Wasser ist es gerade zu laut. Du würdest nichts hören, nur jede Menge Lärm.“
„Dann lass es mich später hören, wenn wir allein sind. Ach ja, was ich noch fragen wollte: Wie tief kommst du?“
Kjell runzelte die Stirn. Woher sollte er das wissen? Er schleppte keine Geräte mit sich herum, die ihm alles über das Wasser sagten und darüber, wie er zu schwimmen und zu tauchen hatte.
„Hier ist das Wasser gute fünfhundert Meter tief“, half Alexander nach. „Kommst du bis zum Grund?“
„Sicher.“
Fünfhundert Meter? Reine Spielerei. Trotzdem schien es sein Gegenüber zu erstaunen. Diese Blicke der drei Männer, die ihn sondierten, als sei er nicht nur seltsam, sondern völlig unbegreiflich – einen kurzen Moment lang empfand er den Drang, sich ihnen durch einen Sprung ins Wasser zu entziehen.
„Was ist mit der Tiefsee? Warst du schon mal dort unten?“
Ständig, lag es ihm auf der Zunge, aber aus irgendeinem Grund scheute er sich, es auszusprechen.
„Können wir jetzt endlich runter?“, kam ihm Ukulele zu Hilfe. „Siehst du nicht, dass es unserem Freund gerade unangenehm wird?“
Kjells Sympathie für diesen runden Menschen schoss unvermittelt in die Höhe. Er warf dem Hawaiianer ein dankbares Lächeln zu, Ukulele antwortete mit einem Zwinkern.
„Sicher doch.“ Alexander stand auf und zog seinen Kopfschutz über. „Aber so leid es mir tut, Kjell, wir müssen das Gespräch dringend fortsetzen. Ich habe eine Million Fragen an dich. Zum Beispiel, warum du problemlos in eiskaltem Wasser herumschwimmst. Hast du eine Art Frostschutzmittel im Blut? Fährst du den Kreislauf runter wie ein Schlafhai?“
„Alex!“, drängelte Ukulele. „Lass ihn in Ruhe.“
„Schon gut. Die Aufnahmen sind übrigens die Besten meines Lebens. Ich glaube, sie sind die Besten, die je aufgenommen wurden. Unser Produzent wird
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