Die Seele des Ozeans
keinen Wirt finden. Wenn sie von der Energie der Wesen leben, die sie verwandeln, müssen sie schnellstmöglich erfolgreich sein. Sind sie das nicht, gehen sie zugrunde.“
Die Traurigkeit in seinem Blick verwandelte sich abrupt in Neugier: „Gut möglich. Ich weiß nur, dass der Schwarm, der mich verwandelte, seitdem immer in meiner Nähe ist. Werde ich verletzt, heilt er mich. Aber seine Kraft wird mit jedem Mal weniger. Ich glaube nicht, dass er noch lange leben wird.“
„Hm.“ Fae griff hoch und rieb sich mit Zeige- und Mittelfinger die Schläfe. Seine Geschichte wurde mit jedem Wort fantastischer. „Es ist eine Art Symbiose, nehme ich an, wenn auch keine ausgefeilte. Vielleicht heilen sie dich, und im Gegenzug ernährst du sie durch deine Energie. Möglicherweise funktioniert das Miteinander nur nicht so gut, weil die Erde nicht die ursprüngliche Heimat dieser Wesen ist. An ihre Welt sind sie vermutlich besser angepasst und leben so lange, wie ihr Wirt lebt. Wenn sie richtig läuft, könnte es eine Symbiose sein, die gegenseitige Unsterblichkeit verschafft. Die Wesen modifizieren ihren Wirt und sorgen nicht nur für die Heilung von Wunden oder Krankheiten, sondern auch für einen perfekten Energieaustausch. Oh Mann, das wäre …“
Fae schnappte nach Luft und legte eine Hand auf ihre Brust. Ihr Herz raste wie verrückt und schien aus ihrem Hals herauszuhüpfen.
Ein heilendes Licht …
Nein! Hör auf zu träumen!
Das führt doch zu nichts.
Kjell starrte mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht ins Leere. Was immer er auch dachte, welche Erkenntnisse ihm auch immer kamen, er teilte sie nicht mit ihr. Stattdessen schloss er die Augen und zog die Brauen zusammen, was seinem Gesicht einen verschlossenen, ernsten Ausdruck verlieh.
Eine gefühlte Ewigkeit schien zu vergehen, ehe er endlich sagte: „Ich weiß so wenig. Je älter ich werde, umso weniger weiß ich. Alles wird immer größer und immer verwirrender. Löse ich ein Rätsel, tauchen drei neue auf. Du bist eins davon. Ein besonders großes.“
Fae schnaufte. „Ich ein Rätsel? Das sagst du mir?“
„Du bist eines“, beharrte er. Sein Blick studierte sie, glitt an ihrem Körper auf und ab, bis sie das Gefühl hatte, sich in eine Starkstromleitung zu verwandeln. Fae meinte gar das feine Knistern ihrer Härchen zu hören. „Du bist das bisher größte Rätsel meines Lebens.“
„Warum?“
„Keine Ahnung. Sonst wärst du kein Rätsel.“
Sie holte tief Luft. Ihre Synapsen feuerten und glühten.
Bitte keinen Anfall. Nur keinen Anfall.
Aber da waren weder Schmerz noch Schwäche. Sie sah nichts verschwommen oder doppelt. Stattdessen war alles klar und unverzerrt, wie damals, als sie noch keinen Tumor, sondern tausend Träume und Flausen im Kopf gehabt hatte.
Ich brauche Zeit. Viel mehr Zeit.
Da war kein Stechen in ihrem Schädel, nicht einmal der Hauch von Schmerz. Was bedeutete das? Sie hatte lange genug mit der Krankheit gelebt, um zu wissen, dass etwas scheinbar Gutes das genaue Gegenteil bedeuten konnte.
Die letzten Anfälle waren in Abständen von wenigen Tagen gekommen. Ihr nächster war überfällig. Was, wenn es heute Nacht geschah? Dass die Schmerzen aufhörten, sprach dafür. Oft täuschte ihr Körper eine Besserung vor, bevor die Krankheit mit aller Kraft zuschlug.
Aber dann spürte sie es.
Zuerst kaum merklich, wie ein hauchzarter Windhauch, der verschwindet, kaum dass man ihn wahrgenommen hatte. Doch das Gefühl kehrte zurück, stärker diesmal. Deutlicher. Wärme.
„Aber das kann nicht sein.“ Fae hob eine Hand und ließ sie über Kjells Schulter schweben. Ja, sie strahlte von ihm aus. Wärme!
Lebendige, wunderbare Wärme!
„Ich kann … oh mein Gott!“
„Was ist mit dir?“
„Ich dachte …“ Sie ließ ihre Hand sinken, Millimeter für Millimeter, bis sie das feuchte Hemd berührte. „Du bist nicht kalt. Du bist … warm. Unglaublich warm.“
Er blickte verwirrt drein und schien in sich hineinzulauschen. „Du hast recht. Weißt du, wie selten ich warm bin? Ich kann mich an das letzte Mal kaum noch erinnern.“
„Aber ich dürfte es gar nicht fühlen.“
„Wegen deiner Krankheit?“
„Ja. Ich fühle Wärme und Kälte schon länger nicht mehr. Der Arzt sagte, es wird nicht zurückkommen.“
Sie ließ ihre Finger höher gleiten, hin zu seinem unbedeckten Hals. Ein Wimmern kam über ihre Lippen, als sie nackte Haut berührte.
Wärme! Sie fühlte ihr wunderbares Brennen, ihre Lebendigkeit. Die
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