Die Seele heilen
Klinik. Mein Mann und unser ältester, damals 17-jähriger Sohn brachten mich im unmittelbaren Anschluss an unseren Besuch beim Psychiater dorthin. Beide erklärten mir gebetsmühlenhaft, dass das jetzt das Beste für mich und für uns alle sei, aber ich konnte das nicht glauben. Ich sträubte mich wortreich gegen die Einlieferung und appellierte an das gute Herz meines Mannes und das meines Sohnes. Depressionsbedingt hatte ich aber nicht die Energie, mich wirklich zu widersetzen, und fügte mich.
Die ersten Tage waren schrecklich
Mit den Klinikärzten versuchte ich auszuhandeln, dass ich nur ein paar Tage, höchstens eine Woche bleiben würde, schließlich musste ich meiner Tätigkeit als Lehrerin möglichst schnell wieder nachgehen und meine Schüler auf die anstehenden Prüfungen vorbereiten. Und die eigenen Kinder konnten doch auch nicht ohne ihre Mama zu Hause existieren, oder?
Die ersten Tage in der psychiatrischen Klinik waren schrecklich. Denn zu meinen Sorgen und Selbstvorwürfen kam jetzt noch der Gedanke, dass meine Kinder ohne mich verloren seien. In meinen Augen hatte ich, der die Familie immer so wichtig war, nun auch noch als Mutter versagt. Ich war absolut davon überzeugt, dass mein ganzes Leben zerstört war. Und jetzt war ich auch noch in der »Klapse«. In den ersten Tagen meines Klinkaufenthaltes waren das die einzigen Gedanken, die ich fassen konnte. Ich hasste die Klinik. Und ich wollte unbedingt wieder nach Hause.
Heute kann ich sagen: Es war gut, dass mein Mann nicht auf meine flehentlichen Bitten einging, mich wieder nach Hause zu bringen. Hätte er meinem Drängen in den ersten Tagen nachgegeben und mich von der Klinik abgeholt, wäre ich sicher nicht so schnell wieder gesund geworden.
Nach einer Woche wollte ich bleiben
Anfangs war alles mühselig. Am Morgen schleppte ich mich zum Frühstück, dann schlurfte ich zur Gymnastik, um 11 Uhr gingen wir unter Aufsicht eine halbe Stunde walken. Danach gab es Visite und gelegentlich Therapiegespräche, schließlich das Mittagessen. Nachmittags stand Qigong auf dem Plan und danach durfte ich für zwei Stunden in den Park der Klinik. Dort sah ich nicht die schöne Herbstfärbung der Blätter, sondern wartete meist nur dumpf darauf, dass mein düsterer Wunsch, nicht mehr leben zu müssen, nachlassen würde.
Nach einigen Tagen merkte ich aber, dass die klinische Betreuung mir half, die Depression zu ertragen. Es tat gut, eine Tagesstruktur zu haben, über die nicht ich entscheiden musste, sondern die einfach vorgegeben war, und ich hatte nicht mehr das Gefühl, dass mir die Zeit einfach nutzlos zwischen den Fingern zerrann. Nachdem die erste Woche verstrichen war, war es mein eigener Entschluss, noch in der Klinik zu bleiben.
Es war nicht alles gut ...
Der Klinikaufenthalt war nicht durchweg positiv. So trägt zum Beispiel ein Frühstück im Gemeinschaftsraum mit 30 anderen akut depressiven Menschen im depressionstypischen Morgentief nicht gerade zur Aufmunterung bei. Und junge unerfahrene Therapeuten, die in der Depressionsgruppe mir, einer dreifachen Mutter in Akutdepression, erzählten, dass die Kinder von Depressiven oft schwer leiden und in den Schulleistungen abfallen, bauten ebenfalls nicht auf. Auch die frisch geschiedene Therapeutin, die mir neben meinen sonstigen Problemen auch noch einen tief gehenden Partnerschaftskonflikt einreden wollte, empfand ich nicht als hilfreich.
... aber es gab Lichtblicke
Während wir beim Frühstück trübsinnig-dumpf in unseren Kaffeetassen rührten, waren wir Depressiven beim Abendessen munterer. Es ergab sich manchmal ein gutes Gespräch und gelegentlich fast so etwas wie Spaß. Ein pensionierter Volksmusiker, der noch nicht über seinen Abschied von der Bühne hinweggekommen war, gab Jodelkonzerte. Wir spielten Rummy Cup und ein Patient erteilte Billardunterricht. Das alles konnte mir natürlich nicht mein Zuhause ersetzen, nach dem ich mich sehnte, aber es lenkte ab und gab mir die Gelegenheit, aus meinen eigenen Sorgen aufzutauchen und wieder einmal einen Blick auf die Welt außerhalb meiner selbst zu werfen.
Viele der Therapiegespräche taten mir ebenfalls gut und auch die Medikamente fingen an zu wirken. Der mich betreuende Arzt gab mir durch seine Geduld und seine Höflichkeit wieder eine Ahnung davon, ein wertvoller Mensch und nicht nur ein Sack voller Probleme zu sein. Und die Qigong-Übungen im Klinikgarten, die von einer japanischen Meisterin durchgeführt wurden, ließen mich
Weitere Kostenlose Bücher