Die Seele heilen
zu unterscheiden, ob man etwas wirklich zum Überleben braucht, wie etwa Sauerstoff und Flüssigkeit, oder ob man sich etwas wünscht. Kinder gehören zur zweiten Kategorie. Dann machte sie sich mit dem Therapeuten auf die Suche nach Dingen, die das Leben bereichern, und zwar auch dann, wenn der Herzenswunsch unerfüllt bleibt. Dadurch wird die Fixierung auf das eine einerfüllbare Ziel gemindert und der Blick frei für die vielen anderen Möglichkeiten, Freude und Erfüllung zu erleben. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer, Sohn des Psychiaters und Neurologen Karl Bonhoeffer, bringt das auf den Punkt, wenn er schreibt: »Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche.« Nach dieser Maxime zu leben ist wahre Lebenskunst. Eine Therapie kann den richtigen Weg zu diesem Lebensziel weisen, aber gehen muss ihn letztendlich jeder selbst. Und das ist eine lebenslange Aufgabe.
Frust
Frust entsteht dann, wenn die eigenen Leistungen nicht gewürdigt werden oder wir nicht erreichen, was wir wollen. Und das wird gelegentlich in allen Lebensbereichen vorkommen. Im Job etwa kann es passieren, dass unser Einsatz und unser Erfolg nicht anerkannt werden. In der Familie hat man manchmal das Gefühl, man wird nur gefordert und nicht geachtet. Und auch Freunde oder Bekannte scheinen manchmal unsere Wünsche und Bedürfnisse nicht ernst zu nehmen. Doch jeder Mensch wünscht sich Bestätigung durch andere Menschen. Und wer depressive Verstimmungen kennt, ist oft von der Anerkennung von außen besonders abhängig, da er sich seiner selbst nicht sicher ist. Mangelnde Anerkennung trifft Depressive tiefer als einen selbstbewussten Menschen. Sie ziehen sich dann oft zutiefst betrübt in ihr Schneckenhaus zurück und stellen eher sich selbst als den anderen infrage. Dann grübeln sie darüber nach, ob sie nicht irgendetwas falsch gemacht haben, sodass ihnen vielleicht ohnehin gar keine Anerkennung zusteht. Mit diesen Gedanken können sie sich endlos in immer neuen Variationen beschäftigen.
Frustbeispiel mit Fisch
Ich bin nicht gerade eine begeisterte Köchin, aber an einem Sonntagvormittag hatte ich einmal zwei Stunden lang in der Küche gestanden und für meine Familie ein aufwendiges Fischgericht zubereitet. Es hat wirklich gut geschmeckt. Als unser ältester Sohn an diesem Abend von einer Party nach Hause kam, brachte er von dort übrig gebliebenen Kartoffelsalat und Fleischpflanzerl mit und sagte: »Ihr seid die einzigen Eltern, die sich über so etwas freuen. Die anderen Mütter wollen meistens nichts.« Darauf ein anderer unserer Sprösslinge: »Die anderen Mütter kochen ja auch gut.« Und das nach diesem wunderbaren Fischgericht! Andere Frauen hätten jetzt vielleicht auf den Tisch gehauen und den Bengel auf sein Zimmer geschickt oder die Bemerkung lakonisch mit »Dann koch doch selber« abgetan. Mir kamen die Tränen und ich stellte meine Kochkünste (»Es hat wohl doch nicht geschmeckt«), meine Leistung als Mutter (»Wieso war mein Sohn so ungezogen?«), ja, mich selbst infrage (»Kann ich überhaupt irgendetwas richtig gut?«). Wieso frustriere ich mich selbst so? Ich sollte mir öfter selbst auf die Schulter klopfen, statt auf die Bewunderung anderer zu schielen. Hier muss ich noch einiges lernen, aber ich denke, ich bin auf dem richtigen Weg.
Der Grund für dieses Verhalten liegt oft in einer verzerrten Interpretation der Situation. Das haben wir schon an dem Beispiel mit der Freundin gesehen, die den Geburtstag vergisst ( siehe [→] ) oder beim Umgang mit meinen Söhnen, wenn Sie die Küche nicht aufräumen ( siehe [→] ). David D. Burns empfiehlt in seinem Buch »Feeling Good. Depressionen überwinden« die Zweispaltentechnik, um die negativen, verzerrten Gedanken zu identifizieren und dann durch realistischere zu relativieren. Wenn Sie zum Beispiel bei einer Verabredung von Ihrer Freundin versetzt wurden, könnte eine solche zweispaltige Auflistung aussehen wie die Tabelle auf der folgenden Seite.
Mir tut diese einfache Zweispaltentechnik gut. Zwar ändert sie nichts an der Tatsache, dass meine Verabredung geplatzt ist, aber sie verhindert unnötigen emotionalen Aufruhr. Meine negativen Gedanken bekommen Raum, aber dadurch, dass ich sie schriftlich fixiere und durch rationale Erwiderungen relativiere, nehme ich ihnen etwas von ihrer negativen Wirkung auf mich.
Verzerrung
Wahrscheinlichkeit/Realität
Immer werde ich versetzt. (Verallgemeinern, filtern)
Stimmt nicht; die meisten meiner Verabredungen werden
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