Die Seele heilen
es bei Konzentration und Gedächtnis von allen Symptomen oft am längsten dauert. Und wenn Sie als Betroffener diese Zeilen lesen, haben Sie schon einen weiten Weg geschafft. Und es wird noch besser werden, bald werden Sie wieder genauso gut denken und Dinge planen können wie vorher.
Die Angst, Fehler zu machen
Was mir bei meiner Rückkehr in den Beruf auch Sorgen bereitete, war die Angst, Fehler zu machen. In der Depression hatte ich schließlich erlebt, dass ich mich in Gedanken verrennen konnte, die nicht relevant waren. Ich hatte erfahren, wie es sich anfühlt, nichts auf die Reihe zu bekommen und sich nicht konzentrieren zu können. Und der Schulalltag ist ja auch anspruchsvoll: Die Unterrichtstätigkeit, die oft viel Spaß macht, kann auch anstrengend sein; darüber hinaus müssen Arbeiten korrigiert werden; und Noten gerecht zu verteilen und den Vorgang zu dokumentieren ist auch nicht ohne. Konnte ich so etwas Komplexes überhaupt noch? Vor einigen Wochen war es mir schließlich schwergefallen, mich auch nur auf eine Klatschzeitung zu konzentrieren.
Wenn auch Sie mit Bangen an Ihre Arbeit denken und befürchten, nicht mehr »perfekt« zu sein, dann können vielleicht folgende Tipps weiterhelfen, die auf meiner eigenen Erfahrung beruhen:
1. Gestehen Sie sich ein, dass Sie auch vor Ihrer Depression gelegentlich Dinge vergessen oder verlegt haben und dass sich auch in Ihrem Arbeitsleben gelegentlich Fehler eingeschlichen haben. Das ist normal und zieht in den allermeisten Fällen keine negativen Folgen nach sich.
2. Versuchen Sie, Ihre Fehler nicht gleich als Anzeichen einer neuen depressiven Phase zu sehen. Sagen Sie sich vielmehr: »Jeder Mensch macht Fehler.
3. Grübeln Sie nicht lange über einen Fehler nach, sondern stehen Sie dazu, wenn Sie etwas falsch gemacht haben. Meiner Erfahrung nach ist es am besten, nicht zu viel darum herumzureden und sich keine Ausreden auszudenken. Gestehen Sie einen Fehler rechtzeitig. Eine solche Offenheit entwaffnet. Sicher haben auch Sie schon erlebt, dass Menschen, die zu ihren Fehlern standen, nicht als Verlierer aus der Situation herausgingen, sondern sich die Achtung der Kollegen verdienten.
4. Bauen Sie sich bei fehlerträchtigen Tätigkeiten, wenn möglich, eine Rückversicherung ein. Ich führe zum Beispiel die Notenberechnung zweimal unabhängig voneinander mit verschiedenen Computerprogrammen durch. Das kostet zwar Zeit, beruhigt aber und verhindert, über mögliche Fehler nachzugrübeln.
5. Sehen Sie auch die Fehler anderer – nicht aus Schadenfreude, sondern sozusagen aus therapeutischem Interesse. Das ist eine amüsante Art, sich zu beweisen, dass auch andere nicht perfekt sind und man sich deshalb über eigene Missgeschicke nicht zu sehr grämen muss. Die Fehler der anderen zu sehen beruhigt und verbindet Sie mit Ihren Mitmenschen: Als einmal eine eigentlich absolut zuverlässige Kollegin einen wichtigen Prüfungstermin vergaß und einfach nach Hause ging, machte dieser einmalige, aber schwerwiegende Lapsus sie mir gleich noch sympathischer. Und zu hören, dass 300 Millionen Euro von einer angesehenen Bank aus Versehen und auf Nimmerwiedersehen an eine marode amerikanische Bank überwiesen wurden, lässt die eigenen Fehler gleich kleiner erscheinen.
Was blieb und was sich geändert hat
Ich möchte meine Arbeit nicht missen. Ich habe nach wie vor gern Kontakt zu Menschen und bin deshalb in meinem Beruf gut aufgehoben. Auch dass die Arbeit meinen Alltag und den Jahreslauf strukturiert, empfinde ich als wohltuend. Ich muss zum Beispiel zu einer bestimmten Zeit aufstehen, und Schulzeiten und Ferien wechseln sich ab. Und es tut mir gut, dass ich sehr oft Spaß an der Arbeit habe. Vor allem aber ist es gut, zu wissen, dass ich die Arbeit bewältigen und auch anstrengende Zeiten durchstehen kann. Das alles gibt mir das Gefühl, mein Leben wieder im Griff zu haben.
Allerdings muss ich in sehr arbeitsreichen Zeiten gut auf mich achtgeben und darf mir nicht zu viel anderes aufhalsen. So habe ich es mir zum Beispiel angewöhnt, mich bei zeitintensiven Korrekturen von Schulaufgaben über das Wochenende in ein Gästehaus zurückzuziehen, wo ich gut versorgt bin und den ganzen Tag korrigieren kann. Das befreit mich von meinen Alltagspflichten und reduziert den Stress für mich und meine Familie. Die Übernachtungskosten sind also gut in unser aller Wohlbefinden investiert.
Meine Schüler haben wahrscheinlich von meiner Depression profitiert. Ich habe jetzt sogar noch
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