Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
»Ich war in den letzten drei Jahren im Kloster, zur Erziehung bei den Nonnen.«
Die Kirchturmuhr schlug eins; Schramm hörte es mit unwilligem Bedauern. Er musste zurück ins Hexenhaus. »Sagt, seid Ihr öfter mittags am Brunnen?«, fragte er.
Sie nickte. »Meistens. Oder am Fluss. Mein Vater hält mittags immer ein Schläfchen, und die Nachbarin ist froh, wenn der kleine Quälgeist hier aus dem Haus ist.« Sie zog den Buben spielerisch am Ohr. Der drängelte jetzt, weil er die Spatzen jagen wollte, die sich neben dem Brunnen tschilpend um ein paar Brotkrumen balgten.
Schramm machte eine kleine Verbeugung. »Dann freue ich mich, Euch bald einmal wiederzusehen, schönes Fräulein.« Mit Entzücken bemerkte er, wie sie rot anlief.
»Auf Wiedersehen«, sagte sie verlegen, und ließ sich schnell von dem kleinen Buben wegziehen. Schramm folgte ihr mit den Augen, wie sie sich lachend am Rock über den Marktplatz zerren ließ. Dann beeilte er sich, zum Malefizhaus zu kommen.
Die Kommissare Vasold und Herrenberger standen bereits vor der Eingangstür zum Torturhäuschen und unterhielten sich leise. Drinnen machte sich der Henker zu schaffen, man konnte das metallische Klirren von Ketten hören und das platschende Geräusch, wenn ein Eimer Wasser auf den Fußboden geschüttet wird. Mit einem Reisigbesen kehrte der Henker Blut und andere Körperflüssigkeiten zusammen mit dem Wasser in den kleinen Schacht an der äußeren Wand, unter dem gluckernd das Bächlein floss.
Die Männer gingen hinein, und kurz darauf brachten die Wachleute die Delinquentin.
»Mehr tot als lebendig«, brummte Vasold und verzog angewidert das Gesicht.
Herrenberger glubschte die gequälte Frau gleichgültig mit seinen Froschaugen an. Sie war zu seinen Füßen zusammengesunken, Blut lief aus ihrer Nase. »Na, dann wollen wir mal.« Er gab dem Henker ein Zeichen. »Was meint Ihr, die Stiefel?«
Die Frau fing an zu winseln, als ihr der Folterknecht die Beinschrauben anlegte. Schramm tauchte die Feder ein.
»Wann und wie ist der Teufel zu dir gekommen, Weib?« Vasold sprach, wie immer am Nachmittag, leicht undeutlich; das kam vom Wein in der Mittagspause.
»Ich kann’s doch nicht sagen, Ihr Herren«, flüsterte die Frau. Ihre Stimme war kaum zu verstehen. Der Henker zog die Schrauben an.
»Wann und wie ist der Teufel zu dir gekommen, Weib?«
»Soll ich denn lügen?«, heulte die Windsheimerin. »Ich könnt doch hernach nimmer beten!«
»Du kannst ohnehin nicht beten, Hexe!« Das war Herrenberger. Der Henker schraubte weiter zu. Die Frau schrie. Vasold brüllte: »Red!«
»Und wenn der Fuß herabmuss, ich kann doch nichts sagen! Herr Jesus hilf, hilf!«
Schramm seufzte. Sie sagten alle das Gleiche, stritten hartnäckig und beharrlich ab, und doch kam irgendwann das Geständnis. Er sah auf die Sanduhr, die schon zur Hälfte durchgelaufen war. Er hatte es sich in letzter Zeit zur Gewohnheit gemacht, mit sich selber Wetten darüber abzuschließen, wie lange es dauern würde, bis die Delinquenten zusammenbrachen. Diese hier war reif, das spürte er. Vielleicht eine Stunde noch, dann war sie so weit. Schramm wartete, bis das letzte Körnchen weißen Sandes sanft und lautlos in die untere Hälfte des Glases gefallen war, und drehte dann um.
Es dauerte noch zwei Stunden, bis die Gefolterte endlich aufgab, der Teufel in ihr endlich kapitulierte. Schramm atmete erleichtert tief durch. Ihm hatten schon die Finger wehgetan, aber jetzt war ein Ende absehbar. Sorgfältig notierte er ihre Antworten. Es war das Übliche: Der Verkehr mit dem Satan, der Höllenflug durch die Luft, die Hexentaufe, die schändlichen Tänze und Riten. Wetterzauber, Viehverderben, Leuten Krankheiten anhexen, Neugeborene töten. Die Windsheimerin hatte nichts ausgelassen. Und am Ende gab sie die Namen derjenigen preis, die sie bei ihrem schrecklichen Treiben begleitet hatten, die mit ihr geflogen waren, getanzt, Schmier gekocht und Hagel gebraut hatten. Es waren schon mehr als zehn, als die Geständige plötzlich die Augen verdrehte und zu röcheln begann. Ihr Kopf fiel zur Seite und sie rutschte vom Stuhl, auf den man sie gesetzt hatte. Mit ihren verdrehten, blutigen Gliedern lag sie da, ein Fuß scharrte krampfartig über den Boden. Dann bewegte sie sich nicht mehr. Der Henker beugte sich mit besorgter Miene über sie, tätschelte ihre eingefallene Wange und hob ein Augenlid an. Mit dümmlich verlegenem Grinsen sah er zu den Examinatoren hinüber und schüttelte den Kopf.
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