Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
meist in der Nacht kam. Dann kroch er tief in die Ecke seiner Zelle, heulte seine Verzweiflung in die Dunkelheit hinaus. Fieberhaft, wild entschlossen suchte er dann nach Möglichkeiten, seinem Leben ein Ende zu setzen, ein Ende, bevor ihn die Folter dazu zwingen würde, sich selbst und andere zu belasten. Aber es gab nichts. Kein Messer, keinen Strick, kein Gift, nichts. Nichts, außer vielleicht mit dem Kopf so lange gegen die Wand zu rennen, bis er tot umfiel. Er hatte gehört, dass dies schon vorgekommen war. Eines Nachts versuchte er es, einmal, zweimal, aber dann gab er auf. Er konnte es einfach nicht.
Und dann, eines Morgens kamen sie ihn holen. Sie zeigten ihm die Instrumente. Und obwohl er am ganzen Körper zitterte, blieb er fest. Er hatte sich das nicht vorgenommen, aber im entscheidenden Moment wusste er: Alles, was ihm blieb, war sein Stolz.
Für eine kleine, kostbare Weile fühlte er sich stark.
Bis sie ihm die Daumenschrauben anlegten.
Mohrenapotheke, Januar 1630
Cornelius betrat die Offizin mit klopfendem Herzen. Der Platz hinter dem großen Rezepturentisch war leer, es roch muffig, nicht wie sonst nach frisch gestoßenen Kräutern oder süßem Sirup. Suchend sah sich der junge Arzt um.
»Es ist geschlossen.« Johanna, die in der Küche gewerkelt hatte, wischte sich die nassen Hände an ihrer Schürze ab und trat in den Verkaufsraum.
»Ich bin’s, Cornelius.« Seine Stimme klang unsicher. »Ich hab gestern erst erfahren, dass du zurück bist, und dass … «
Sie kam auf ihn zu. »Ja«, sagte sie und machte den Versuch eines Lächelns, »ich bin wieder da … «
Was sollte sie sagen? Wie sehr hatte sie das Wiedersehen mit ihm herbeigesehnt, und jetzt, jetzt hatte die Hexenjagd unbarmherzig ihren schwarzen Schatten auf diese Begegnung geworfen. Er nahm ihre beiden Hände in seine. »Kommst du zurecht? Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Es geht schon.« Sie sah ihm in die Augen. »Danke, dass du gekommen bist. Es tut gut, Freunde zu haben. Grade jetzt, wo sie den Vater geholt haben.«
Sie wehrte sich nicht, als er sie in die Arme nahm, ihr tröstend über den Rücken strich. Es tat so gut.
Lange hielt er sie so, ohne einen Gedanken an mehr. Es war nicht die Zeit. Schließlich löste sie sich von ihm, wischte eine Träne fort. »Das Schlimmste ist, dass man nichts tun kann. Diese Ohnmacht. O Gott, manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich ihm einen schnellen Tod wünsche. Kannst du das verstehen?«
Er nickte. »Noch ist nicht alles verloren, Hanna. Vielleicht ist schon ein zweites Mandat aus Speyer unterwegs. Vielleicht ist der Reichshofrat schon dabei, sich mit der Angelegenheit zu befassen. Wir haben … «
»Wir?« Johanna sah ihn ungläubig an. »Du gehörst auch zu den Gegnern der Drudenjagd?«
»Kann man denn als anständiger Mensch anders?«
Sie senkte den Kopf. »Jetzt gibt es also noch einen mehr, um den ich Angst haben muss«, flüsterte sie. »Gott schütze euch alle.«
»Du darfst nicht den Mut verlieren, Hanna.« Fest legte er ihr die Hände auf die Schultern.
»Jemand da?« Eine beleibte Frau trat in die Apotheke, mit von der Kälte geröteten Wangen. »Die Tür war offen ...«
Die beiden jungen Leute fuhren auseinander, als ob man sie bei etwas Unrechtem ertappt hätte.
»Ei, die Hellgruberin. Was führt Euch denn hierher?« Cornelius kannte die Seilmacherin, die im Bach wohnte, dem Tal zwischen Domberg und Kaulberg. Sie hatte neun Kinder, und ständig war eines davon krank. Normalerweise besorgte sie ihre Arzneien in der Unterapotheke.
»Medizin bräucht ich«, schnaufte die Dicke. »Meine Lina hat wieder mal die Würmer. Ich schmier ihr schon seit Tagen Rindergalle in den Nabel, aber … «
»Wir haben geschlossen«, warf Johanna ein. »Ihr habt es ja sicher gehört, mein Vater ist verhaftet. Geht in die Unterapotheke.«
»Ja, wisst Ihr es denn noch nicht?« Das Pfannkuchengesicht der Hellgruberin nahm einen erstaunten Ausdruck an. »Die Burckhardin ist auch verhaftet, und ihr Mann, na ja, den kennt man ja, der bringt selber nicht einmal einen Kamillenaufguss zustande!«
Elisabeth Burckhard und ihr Mann besaßen die zweite der drei Bamberger Apotheken, die dritte, die Hofapotheke, führte ein Schattendasein, seit ihr Besitzer vor einigen Jahren gestorben war und seine Witwe zusammen mit einem Verwandten das Geschäft mehr schlecht als recht weiterbetrieb. Kaum einer kaufte dort noch etwas.
»Es hört einfach nicht auf«, sagte Cornelius bestürzt. Er kannte die
Weitere Kostenlose Bücher