Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
zur Seite, schürten ein Feuer, bauten Stände und eine Art Bühne auf. Zwei hübsche Kinder, ein vielleicht achtjähriges Mädchen und ein etwas älterer Knabe, marschierten derweil hinter einem Ausschreier durch die Stadt. Der Junge traktierte mit Feuereifer seine Bauchtrommel, das Mädchen blies auf einer beinernen Flöte, während der Mann überall in den Straßen die Ankunft der Fahrenden verkündete. »Heute Nachmittag wird der berühmte Hieron, der stärkste Mann der Welt, alle Ketten sprengen! Seht außerdem das Wunder des zweiköpfigen Kalbs, Urso den Bären, den sprechenden und fliegenden Hund Mitzka! Bewundert den Joglar mit seinen Bällen, den welschen Feuerfresser und die schöne Tänzerin Mala, leibliche Schwester des Kaisers von Osmanien, die Euch den Tanz der Salome zeigen wird!«
»Habt Ihr auch einen Zahnbrecher dabei?«, fragte ein alter Mann mit geschwollener Backe.
»Nein, Herr, aber wir verkaufen gegen Zahnweh den besten Theriak, mit hundertfünfzig Ingredienzien nach dem einzigartigen Rezept des Königs Mithridates, mit Kräutern, Murmeltierschmalz und Schlangenfleisch! Direkt von der Insel Arabia!«
»Hilft der vielleicht auch gegen Schlaflosigkeit?« Eine dicke Rotfärberin war hinzugetreten, rotes Krapp an den Händen und tiefe schwarze Ringe unter den Augen.
»Oho, gute Frau«, säuselte der Zigeuner, »gegen dieses Leiden müsst ihr den Schlafapfel nehmen, das ist ein seltener Auswuchs am wilden Rosenstrauch, den nur Eingeweihte zu finden wissen. Steckt man ihn unters Kopfkissen, so erwacht man erst wieder, wenn er entfernt wird.«
»Ihr habt einen Schlafkunz?«, meinte die Dicke mit großen Augen. »Was soll er denn kosten?«
»Kommt später zum Saumarkt, dort wird Euch unser Alchimist und Theriakkrämer sein einziges Exemplar verkaufen. Außerdem, gute Frau«, er winkte die Färberin vertraulich zu sich, damit er in ihr Ohr flüstern konnte, »hätte ich da noch etwas ganz Besonderes für Euch: Wir sind zufällig im Besitz des Fisches Esquadre, der vermöge seiner zusammenziehenden Eigenschaft große, herabhängende Brüste wieder so klein machen kann wie bei einem jungen Mädchen. Man muss ihn nur bei Neumond über Nacht darauflegen … «
Die Frau wollte erst empört hochfahren, doch dann schien ihr die Idee zu gefallen. »Ich überleg’s mir«, sagte sie, und der Zigeuner zwinkerte ihr zu.
Die beiden Kinder trabten noch eine geschlagene Stunde lang hinter ihrem Vater her, trommelten und pfiffen. Während dem Buben die Sache sichtlich Spaß machte, wirkte das Mädchen müde und lustlos. Sie hatte Mühe mitzuhalten, und das Flöten tat ihr im Hals weh. Außerdem fror sie und hatte Kopfschmerzen. Als die drei wieder zum Lager zurückkehrten, wollte sie nicht einmal mehr von der Kesselsuppe essen, sondern legte sich gleich in den Wagen ihrer Mutter zum Schlafen.
Am nächsten Morgen hatte die Kleine Fieber und hustete. Das Halsweh war so schlimm geworden, dass sie leise weinte. Unruhig wälzte sie sich auf ihrem Strohsack hin und her und lehnte jegliche Speise ab. Nur trinken wollte sie noch. Ihre Zunge und der Rachen waren von einem bräunlichen Belag bedeckt.
Die Großmutter des Mädchens, Matriarchin der Sippe, kannte sich in solchen Dingen gut aus. Sie besaß ein Sammelsurium an Heilkräutern, die alle, wie es sich gehörte, bei zunehmendem Mond gepflückt worden waren. Oder an Johanni, Himmelfahrt, am Karfreitag, das verhieß beste Wirksamkeit. Die Alte gab ihrer Enkelin etwas in Wein aufgelösten Alant zur Linderung des Hustenreizes, gestoßene Quittensamen in Rosenwasser zum besseren Abhusten und Himbeerwasser gegen das Fieber. Gegen Mittag ging es dem Mädchen tatsächlich etwas besser, und so ließ man es während der Vorstellung allein im Wagen. Nur ihr Bruder, der noch zu jung war, als dass man ihn bei Vorführungen hätte einsetzen können, kam ab und zu ans Krankenlager und kümmerte sich um sie.
In der Nacht wurde das Fieber so schlimm, dass die Kleine phantasierte. Die Frauen wachten abwechselnd bei ihr und machten kalte Umschläge. Obwohl die Großmutter ihr Halswickel mit einer Mischung aus Quark, Kren und Taubenkot machte, fiel dem Mädchen das Atmen immer schwerer. Und als der Morgen graute, schüttelte die Alte traurig den Kopf. Sie war mit ihrer Kunst am Ende. Vier Stunden später war das arme Ding tot.
Die Zigeuner trugen die Kleine in ein Leintuch eingenäht zum Pfarrer von Sankt Martin. Der war ein weichherziger Mann und erlaubte ihnen, das Kind am
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