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Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Zustand des Fürstbischofs besserte sich erkennbar. Mit der Melancholie war es so eine Sache, der Grund dafür war oft schwer zu finden, und wenn man ihn nicht wusste, konnte man auch nicht helfen. In diesem Fall hatten die Sterne – und auch die genaue persönliche Beobachtung – gesagt, dass der Fürstbischof einen Konflikt austrug, den er nicht gewinnen konnte. Und inzwischen hatte der Astrologe ja auch Natur und Gegner dieses Konflikts herausfinden können. Jetzt kam es darauf an, dem Fürstbischof genau nach Anweisung der Sterne aus diesem Konflikt und damit aus der Melancholie herauszuhelfen. Wenn dies gelänge, dann wäre er, Deodatus, seinem großen Ziel ein ganzes Stück näher gerückt, nämlich Hofastrologe zu werden. Er war das ständige Reisen langsam satt; schließlich wurde er nicht jünger, und hier in Bamberg konnte man sich schon wohl fühlen.
    Der Astrologe stieg die Holztreppe in die Zwiebel hinauf und erklomm von dort aus die Leiter in die Turmlaterne. Der besseren Sicht wegen hatte er hier eigens die vier Fenster vergrößern lassen; so konnte er mit dem Fernrohr den kompletten Nachthimmel erfassen. Er ging zum Teleskop, das auf einem langbeinigen Drehgestell angebracht war, und sah hindurch. Wie jedes Mal war er überwältigt von der Fülle und dem Licht der Gestirne, dem Strahlen und Leuchten, den sinnfälligen Formationen. Das war Gottes Werk; nirgendwo offenbarte sich die Schöpfung großartiger als hier. Deodatus suchte den Skorpion, dessen rötlicher Hauptstern Antares sich deutlich von der weißen Spica abhob. Der Schlangenträger stand in der östlichen Äquatorzone, die zum Adler hinüberleitete. Dessen größter Stern Atair bildete mit Deneb im Schwan und der Wega in der Leier das Sommerdreieck. Ah, und da war ja auch der kleine Wagen, vom Polarstern aus nach Süden weisend, umgeben von den Sternen des Drachens. Schließlich der Große Bär im Westen, dessen Hinterteil als Großer Wagen jedem Kind bekannt war.
    Deodatus richtete sein Fernrohr einmal durch jede Fensteröffnung, suchte und fand, schrieb und rechnete, verband Sternbilder und maß ihre Abstände. Das nächste Horoskop für den Fürstbischof musste einfach die Heilung bringen. Für eine genaue Prognose fehlten jetzt nur noch die Konstellationen der Himmelsmitte: Bootes, die Nördliche Krone und Herkules mit seinem angrenzenden Sternenhaufen. Der Astrologe schleppte das Teleskop samt Gestell so nah es ging an das innere Fenster der Turmlaterne, um es möglichst senkrecht nach oben richten zu können. Dabei waren ihm zwei dicke Folianten im Wege, die vor diesem Fenster noch auf dem Boden lagen, weil er sie in der letzten Nacht zum Nachschlagen benutzt hatte. Das schwere Teleskop in der Hand und die Zunge zwischen die Zähne geklemmt versuchte er, die Bücher mit dem Fuß wegzuschieben. Er schwankte, verlor das Gleichgewicht, das Fernrohr entglitt seinem Griff und neigte sich bedrohlich weit über die niedrige Fensterbrüstung. Deodatus schrie auf. Sein kostbarster Besitz drohte zu fallen! Er lehnte sich aus dem Fenster, um nach dem Rohr zu greifen, da, jetzt hatte er es. Sein Oberkörper hing weit über die Brüstung hinaus, zu weit. Er versuchte, die Arme nach innen zu bringen, in der Hand immer noch das Fernrohr, in dessen Gestell er sich jetzt mit den Füßen verhedderte. In letzter Sekunde stieß er das Teleskop nach innen in den Turm. Dann fiel Deodatus, tiefer und tiefer, lautlos wie eine stumme Puppe.

    Der Fürstbischof erwachte bei Morgengrauen, weil er laute Schreie im Hof hörte.
    »Was ist das für ein Aufruhr?«, fragte er schlaftrunken den Mohren, der schon am Fenster stand.
    »Ich weiß nicht, Herr«, antwortete Caspar. »Die Leute laufen zusammen. Es scheint etwas vorgefallen zu sein.«
    Dornheim stieg ächzend aus dem Bett und ließ sich in den Morgenmantel helfen. Da klopfte es schon, und einer aus der Dienerschaft stürzte herein. »Eminenz, Verzeihung, aber es ist wichtig. Der Sterndeuter … «
    Mit nackten Füßen schlüpfte der Fürstbischof in seine Hauspantoffeln und tappte darin die Treppen hinunter in den Hof. Drüben beim Turm stand schon eine kleine Menschenmenge. So schnell er mit den Samtschlappen konnte, schlurfte Dornheim hinüber und schob die Gaffer mit den Ellbogen zur Seite. Dann erstarrte er.
    Da lag der Astrologe mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken, wie gekreuzigt, Kopf und Glieder zu einer blutigen Masse zerplatzt und zerschmettert. Deodatus’ Augen waren weit aufgerissen, der

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