Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
»Eine Bittschrift. Und? Was steht drin?«
»Majestät, ich bin Heinrich Flock, Ratsherr zu Bamberg. Seit drei Monaten versuche ich in Wien, Gerechtigkeit zu bekommen für mein Weib, das als Hexe verhaftet wurde. Ich schwöre beim Allmächtigen, dass sie unschuldig ist wie ein neugeborenes Kind. Die Hexenprozesse zu Bamberg, denen schon über achthundert unglückliche Menschen zum Opfer gefallen sind, werden gegen das bestehende Recht durchgeführt. Wenn der Reichshofrat nicht einschreitet, wird zu Bamberg bald keiner mehr am Leben sein. Majestät, wir haben genug Beweise für eine Nullitätsklage. Wir … « Flock, begann, sich in Rage zu reden. Er schwitzte, sein Gesicht war ganz puterrot angelaufen und seine Stimme wurde immer lauter.
Ferdinand hob beschwichtigend seine kleine, plumpe Hand. »Nicht so furios, mein Bester. Ich bin zwar nicht mehr der Jüngste, aber hören tu ich noch ganz gut.«
»Verzeiht mir, Majestät, aber das große, himmelschreiende Unrecht und die Angst um mein schwangeres Weib … Wenn der Reichshofrat die Sache nicht in der nächsten Sitzung behandelt, dann brennt sie … « Flock traten die Tränen der Verzweiflung in die Augen. »Majestät, Ihr seid im Reich der höchste Wahrer des Rechts, der Beschützer derer, die sonst keine Stimme haben. In Eurem Land geschieht Furchtbares, Entsetzliches. Das muss ein Ende finden. Helft, ich flehe Euch an!«
Ferdinand sah seinen Bittsteller lange an. Der Mann war wirklich verzweifelt, so wie er da im Dreck kniete. Und er wirkte ehrlich. Das Wasser stand ihm in den Augen, er hatte die Hände gefaltet wie zum Gebet. In der letzten Zusammenkunft des Reichshofrats war die Angelegenheit schon kurz besprochen worden, erinnerte sich der Kaiser. Schwierig, die ganze Sache, schwierig!
»Bitte, Majestät!« Flock wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte.
»No ja!« Ferdinand wackelte unentschlossen mit dem Kopf. Aber er war schon immer einer gewesen, den man bei seinem weichen Herz packen konnte, und dieser Mann aus Bamberg hatte unwissentlich den richtigen Ton gefunden. Außerdem musste die Sache irgendwann ja doch behandelt werden. Der Kaiser beschloss, am Abend mit seinem Beichtvater über diese Hexengeschichte zu reden. Lamormaini wusste in solchen Dingen immer guten Rat.
»Also!« Ferdinand bedeutete Heinrich Flock aufzustehen. »Ich will Euer Schreiben lesen, wenn’s denn sein muss. Dann werden wir sehen. Und jetzt stört mich nicht weiter, ich habe zu tun. Mit Gott – und Kopf hoch, guter Mann!«
Flock blieb auf den Knien, bis sich der Kaiser mit seiner Entourage entfernt hatte. Erst dann rappelte er sich hoch und ging heim.
Vier Tage später trat der Reichshofrat zusammen. Auf der Tagesordnung stand die Sache der Dorothea Flock gegen den Fürstbischof von Bamberg.
Bamberg, eine Zelle im Malefizhaus, Ende Mai 1631
Johanna stand reglos in dem winzigen dunklen Raum. Hinter ihr fiel die Tür mit lautem Krachen ins Schloss, ein Schlüssel drehte sich zwei Mal. Nein! Sie konnte nichts anderes denken als: Nein! Nein! Nein! Es war nicht wahr, es konnte nicht wahr sein. Gleich würde sie aufwachen, daheim in ihrem Bett, und alles würde wie immer sein. Nein! Sie war nicht hier, nicht in dieser finsteren Zelle. Ihre nackten Füße gruben sich nicht in hartes Stroh, sie roch nicht den widerlich säuerlichen Gestank nach Blut und Exkrementen, sie spürte nicht die Kälte, die von den dicken Mauern abstrahlte. Es war alles nur ein böser Traum. Ein Albtraum. Es würde bald vorbei sein, bald … Irgendwann merkte sie, dass sie am ganzen Leib zitterte. Und dass jemand sie berührte. Sie zuckte zusammen.
»Setz dich hin, Kind. Kannst doch nicht für immer da stehen bleiben.« Eine Hand zog sie irgendwohin und drückte sie sanft nach unten. »So ist’s gut.« Ein Streicheln auf ihrer Schulter. Sie sah nichts als einen hellen, viereckigen Fleck auf dem Steinboden, gezeichnet von dem einzigen schmalen Lichtstrahl, der durch das kleine Luftloch unter der Decke fiel. In ihrem Kopf drehte sich alles. Kein klarer Gedanke. Nur wirres Durcheinander. Und Angst, unbändige, tierische, zähnefletschende, würgende Angst. Denn es war kein Traum.
Ihre Gedankenfetzen begannen sich zu ordnen, klarer zu werden. Warum war sie hier? Man hatte sie doch entlassen, damals! Das musste doch bedeuten, dass sie wussten: Sie war keine Hexe! Hing es mit Thea zusammen? Mit der Apotheke? Damit, dass ihr Vater und ihr Schwager nach Wien gereist waren? Hatte sie einer besagt?
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