Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Trümmerfeld, das vor ihm lag. »Eine Schand, aber was soll man machen?«, murmelte er in sich hinein und zuckte die Schultern. Es war wirklich schlimm, dass die altehrwürdige Kirche beim Stubentor vor zwei Jahren zerstört worden war – aber damals hatte man die Steine dringend zur Verstärkung der Stadtmauer gebraucht. Schließlich durfte man sich gegen die Türken keine Blöße geben, und es war den Krummsäbeln dann ja auch nicht gelungen, die Stadt zu erobern. Ferdinand atmete immer noch auf, wenn er an den Tag dachte, an dem die Flagge des Halbmonds vor den Toren Wiens eingeholt worden war. Er hatte sich damals geschworen, die Dominikanerkirche schöner denn je wieder aufzubauen. Und er pflegte seine Schwüre zu halten, denn er war ein gottesfürchtiger Mann, ein tiefgläubiger Katholik, der einmal den herben Spruch getan hatte, es sei ihm lieber eine Wüste zu regieren, als ein Land voller Protestanten.
Abgesehen von diesem religiösen Eifer war der Kaiser jedoch ein gutmütiger, leutseliger Mensch, dessen Freigebigkeit ihn überall beliebt machte und der schlecht nein sagen konnte. Auf dem Weg zum Bauplatz der neuen Kirche warf er den Arbeitern, die die Reste der alten Ruinen abtrugen und das Terrain einebneten, Münzen hin und winkte seinen Wienern, die inzwischen von überallher herbeigelaufen waren, lachend zu. Währenddessen trabte der junge italienische Baumeister, Giovanni Giacomo Tencalla, hinter ihm her, wedelte mit irgendwelchen Plänen und versuchte vergeblich, seine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Es sah beinahe lustig aus, wie die beiden kleinen, dicklichen Männer, der eine ganz in erhabenes Schwarz gekleidet, der andere bald wie ein Schauspieler mit erdbeerrotem Umhang und hellem Hut, über den von Steinbrocken übersäten Platz liefen.
Heinrich Flock stand bei den Resten der alten Kirchenfassade, wo er seit über zwei Stunden gewartet hatte, und sah die beiden auf sich zukommen. Einen Augenblick war er sich unsicher: Welcher war denn nun der Kaiser? Aber dann fiel ihm auf, dass der Buntgekleidete wesentlich jünger war, und schließlich wusste man, dass Seine Majestät die fünfzig längst überschritten hatte. Außerdem war, je näher die beiden kamen, die typisch vorgeschobene Habsburger Unterlippe über dem kleinen grauen Bärtchen gut zu erkennen.
Flock hatte über Mittag in rasender Eile eine Petition verfasst, die nun zusammengefaltet und versiegelt in seiner Brusttasche ruhte. Und er war wild entschlossen, diese Petition dem Kaiser zu übergeben, koste es, was es wolle. Sein Essmesser, das er, wie es der Brauch war, stets am Gürtel trug, hatte er vorsichtshalber abgeschnallt, damit man ihn nicht für einen Attentäter halten konnte. Mit kaum verhaltener Aufregung beobachtete er nun, wie Ferdinand und sein Begleiter stehen blieben, deuteten und gestikulierten. Der Italiener rollte einen Plan auf und erklärte irgendetwas, der Kaiser lachte. Dann gingen die beiden langsam weiter, gefolgt von einem ganzen Pulk von Höflingen und Wachen. Noch ein paar Schritte, dann würden sie an Heinrich Flock vorbeikommen. Das war der Moment.
Flock stürzte auf den Kaiser zu, den Bittbrief in der Faust. Hände griffen nach ihm, man wollte ihn aufhalten, aber er schaffte es, sich loszureißen und weiterzutaumeln. Schließlich erreichte er den Kaiser, fiel zu Boden und umklammerte dessen linken Knöchel. Er spürte die Spitze einer Lanze an seinem Hals; aus dem Augenwinkel heraus sah er das grimmig verzerrte Gesicht eines Landsknechts, der bereit war zuzustoßen.
Ferdinand war erschrocken zurückgeprallt; aber als klar wurde, dass von dem reglos verharrenden Menschen, der da vor ihm im Staub lag, keine Gefahr ausging, entspannte er sich wieder.
»Eure Majestät, verzeiht mir!« Flocks Stimme zitterte. »Ich weiß mir keinen Rat mehr und bin verzweifelt. Nur Ihr könnt helfen! Ich flehe untertänigst, hört mich an!«
Der Kaiser sah mit gerunzelter Stirn seine Gardeknechte an. »Na bitte!«, näselte er in seinem weichen Wiener Dialekt. »Da umgibt man sich mit einem ganzen Sack voll Wachen, und trotzdem kommt einer durch!« Dann wandte er sich an Flock. »Sehr lieb, der Herr, dass er mich nicht gleich umbringt!«
»Das war um Gottes willen nie meine Absicht!« Flock wagte es, sich halb aufzurichten. Er streckte Ferdinand die Petition hin. »Ich wollte Eurer Majestät nur dies hier überreichen.«
Auf einen Wink hin nahm einer der Wächter das Schreiben entgegen. »Schau, schau«, sagte Ferdinand.
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