Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
und Veilchen, ja, wie alle betörenden Blütendüfte der Welt zusammen. Tief sog sie diesen wunderbaren Wohlgeruch in ihre Lungen, es gab ihr das Gefühl, zu schweben.
Das Volk versammelte sich um den Bocksfüßigen, der jetzt in seinem zotteligen Fell dahockte und ihnen den Rücken zukehrte. Dann hob er den Hintern, und die erste Hexe, ein uraltes, weißsträhniges Weib, dem alle respektvoll Platz machten, trat auf ihn zu, umfasste ehrfürchtig seine Hinterbacken und küsste ihn mitten auf den After. Ihr tat es ein junger Mann nach, dann der nächste Unhold, schließlich schlossen sich alle Druden an, um ihrem Herrn zu huldigen. Der Teufelskuss war Zeichen der Liebe und Unterwerfung, höchste Lust und Ehre, Privileg und Auszeichnung.
Irgendwann stand Hanna hinter Luzifer. Wie verklärt lächelte sie, ihr Körper sang, bebte, vibrierte. Mit einer Hand strich sie Satan zärtlich über das Rückenfell, wie weich und lockig es war! Sie fiel auf die Knie, ihr Herz schlug bis zum Hals. Langsam hob sie des Teufels Schweif und brachte ihr Gesicht ganz nah heran. In diesem Augenblick drehte er den Kopf zu ihr um. Johanna jauchzte überglücklich: Es war Cornelius! Seine braunen Augen, die dunklen Haare, der weiche Mund. Seine Lippen wölbten sich ihr entgegen, lockten, seine Zungenspitze zuckte, sein Blick forderte sie auf. Sie ließ von seinem Hinterteil ab und umfasste seinen Hals. Ihre Lippen öffneten sich, es war so schön! Ja, gleich, gleich würde sie seinen Mund berühren, den Mund ihres Gebieters und Geliebten! Sie war erwählt …
Doch was war das? Sie roch Schwefel und Auswurf, Bockschweiß und Mist. Der furchtbare Gestank nahm ihr den Atem, sie rang nach Luft. Und dann … dann verschwammen Cornelius’ geliebte Züge, zerflossen, zerrannen, verwandelten sich in eine grausige, haarige, entsetzliche Fratze. Glotzende gelbe Augen, ein zähnefletschendes, stinkendes Maul, tropfender Geifer, ein Paar gedrehte Hörner. Die Fratze näherte sich ihrem Gesicht, kam immer näher, grinsend, züngelnd. Ein tiefer, rauer, gieriger Ton rollte hohl aus ihrem Rachen. Näher und näher kam das gräuliche Antlitz des Satans. Johanna konnte sich nicht rühren, sich nicht abwenden. Sie war wie gelähmt. Und als die Lippen des grässlichen Mauls die ihren berühren wollten, schrie sie, wie sie noch nie geschrien hatte.
»Aufwachen! Wach auf, Kind.« Die Schefflerin rüttelte fest an Hannas Schultern, bis sie endlich aufhörte zu schreien, dann nahm sie sie tröstend in die Arme. »Ist ja gut! Schscht, schscht«, sagte sie. »Schon vorbei. Es war nur ein schlimmer Traum.«
Hanna schluchzte, sie war schweißgebadet. Vor lauter Ekel musste sie würgen; ihr Mund war trocken. Sie nahm den Becher Wasser, den ihr die Schefflerin hinhielt, und trank einen Schluck. »Ich hab vom Hexensabbath geträumt«, erzählte sie stockend.
»Wen wundert’s?« Grete Scheffler nahm ihr den Becher wieder aus der zitternden Hand. »Das tun alle irgendwann.«
»Es war – so schön. Und dann so schlimm.«
»Und es war nicht wirklich.« Die Schefflerin strich ihr über die Stirn. »Vergiss das nie: Es war nur eine Vorspiegelung, eine Gaukelei. Schlaf einfach weiter.«
Johanna schüttelte den Kopf. »Und wenn der Traum wiederkommt?« Sie beschloss, wach zu bleiben. Durch das winzige Fenster konnte sie die schmale Sichel des abnehmenden Mondes erkennen. Ihre Augen saugten sich an diesem Fetzchen Himmel fest, während sie auf den Morgen wartete. Sie fror erbärmlich, weil ihre Kleider feucht vom Schweiß waren, aber das hielt sie wach und gab ihr Zeit zum Nachdenken. Verzweifelt suchte sie nach einem Stück Hoffnung. Ihr Vater und Heinrich Flock waren beim Reichshofrat, und Pater Kircher bei der Gesellschaft Jesu. Es war doch möglich, dass sie etwas ausrichten konnten. Noch war nicht alles verloren. Und Cornelius – er musste doch bald heimkommen. Jedes Mal, wenn sie an ihn dachte, kam die Verzweiflung. Und die Auflehnung gegen dieses Schicksal, das man ihr zugedacht hatte. Herrgott, sie wollte leben, leben mit ihm! In diesen Momenten klammerte sie sich an jedes Fetzchen Zuversicht. Vielleicht kam ja ein Mandat aus Wien, eine Ermahnung aus Rom … Sie musste Zeit gewinnen, möglichst viel Zeit. Irgendwie musste sie die peinliche Befragung hinauszögern. Denn ihr wurde eines immer klarer: Ein zweites Mal würde man sie nicht davonkommen lassen. Diesmal würde man sie in die Folterkammer führen. Und die Schefflerin hatte recht. Die Tortur war nicht
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