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Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Aber wer? Johanna fand keine Antwort. Toni, dachte sie, lieber Toni! Was würde aus ihm werden? Er war doch jetzt ganz allein! Sie schlang die Arme um die angezogenen Beine und legte die Stirn auf die Knie. Dann begann sie zu stöhnen.
    Nein, das war sie gar nicht! Es kam aus der Ecke, und die andere Person, die sie gestreichelt hatte, kroch durch raschelndes Stroh dort hinüber. Ein paar kurze Schläge mit dem Feuerring, dann flackerte das fahle Licht eines Wachsstumpens auf. Johanna erkannte zwei weibliche Gestalten, eine liegende und eine, die über der anderen kauerte. Die tauchte jetzt einen Lumpen in einen Eimer, wrang ihn aus und tupfte damit über Stirn und Gesicht der Stöhnenden. »Wir müssen sparen mit der Kerze«, sagte sie über die Schulter zu Hanna. »Wer weiß, wann wir wieder eine kriegen. Komm rüber und hilf mir.«

    Johanna raffte sich auf und ging zu den beiden anderen. Beim Anblick der wimmernden Gestalt auf dem Boden prallte sie zurück. Die Frau war fast nackt und sie lag auf dem Bauch. Sie schlotterte am ganzen Körper vor Fieber. Hände und Füße waren, so weit man das im Licht der Kerze sehen konnte, eine einzige blutig geschwollene Masse. Der Rücken war übersät mit Brandwunden, nässenden Blasen, eiternden, schwärzlichen Schwären. »Das sind keine Menschen, die so etwas tun«, flüsterte Johanna. Die Tränen traten ihr in die Augen. Selbst ein Blinder konnte sehen, dass hier jede Hilfe zu spät kam.
    »Sie haben sie mit Schwefel gebrannt«, gab die andere Frau leise zurück, während sie sachte den geschundenen Rücken abtupfte. »Hier, da ist ein Tiegel mit Salbe. Den hat der Doktor Eberlein gebracht, vor drei Tagen. Er hat sie auch nach dem Zug wieder eingerenkt. Sie versuchen nach jeder Folter, die armen Seelen wieder einigermaßen gesund zu machen – damit sie die nächste Tortur aushalten. Streicht ein bisschen von dem Zeug auf die Wunden, es lindert den Schmerz.«
    Johanna tat wie geheißen. Die Frau stöhnte und röchelte, war aber offenbar nicht bei Bewusstsein. »Sie stirbt«, sagte Hanna leise. »Das kann keiner überleben.«
    Die andere setzte sich auf und wrang den Lumpen aus. »Ihr seid die Johanna Wolffin von der Mohrenapotheke, gelt? Ich kenn Euch, aber Ihr mich wohl nicht. Mein Name ist Grete Scheffler, aus der Theuerstadt.«
    Johanna musterte die Frau im Kerzenschein. Sie mochte fünfzig oder sechzig Jahre alt sein, es war schwer zu sagen. Man hatte sie geschoren. Unter der dicken Winterdecke, die sie umgelegt hatte, hingen ihr die Kleider wie Lumpen am Leib. Aber sie schien unverletzt.
    »Wie lange seid Ihr schon hier?« Johanna verschloss den Salbentiegel und stellte ihn ins Stroh.
    Die Schefflerin schüttelte den Kopf. »Ich kann’s nicht genau sagen. Hier drin verliert man das Gefühl für die Zeit. Vielleicht vier, fünf Wochen, oder sechs, wer weiß?« Sie blies die Kerze wieder aus und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. »Es ist nicht mehr wichtig.«
    Eine seltsame Ruhe ging von der Frau aus, eine Gelassenheit, die Hanna merkwürdig vorkam. »Hat man Euch noch nicht gemartert?«, fragte sie.
    Die andere lächelte in der Dunkelheit. »Nein. Und das wird man auch nicht. Ich habe schon alles gestanden. Jetzt warte ich nur noch auf den endlichen Gerichtstag.«
    Hanna schauderte; für einen kurzen Moment schloss sie die Augen. »Aber Ihr seid doch … ich meine, Ihr seid doch bestimmt keine Drud?«
    Ein kleines Geräusch fast wie ein Lachen kam zurück. »Es gibt keine Druden. Wisst Ihr das nicht?«
    Johanna gab keine Antwort. Wie oft hatte sie sich diese Frage schon gestellt! Sie war mit dem Glauben an Hexerei aufgewachsen, was auch sonst? Juristen, Wissenschaftler, die Kirche, die Bibel, sogar Luther und die Protestanten – alle Autoritäten stützten diesen Glauben. So sicher wie jeden Tag die Sonne aufging, so sicher wie die Regnitz in den Main mündete, so sicher gab es Hexen. Davon war sie immer überzeugt gewesen, bis zu dem Tag, an dem man sie selber damals verhaftet hatte. Und die Zweifel waren übergroß geworden, als man ihren Vater und dann auch noch Thea beschuldigt hatte. Hexen, Dämonen, Schadenszauber – konnte es sein, dass alles nicht stimmte, was für sie einst eine unverrückbare Wirklichkeit gewesen war? Alles nur Täuschung, Trugbild, Irrtum, Fehlglaube? Aber was war dann noch gültig? Woran sollte man noch glauben? Wenn es keine Hexen gab, gab es dann auch keinen Teufel? Keine Hölle? Kein Fegefeuer? Und in letzter Konsequenz:

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