Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Wenn man die Existenz des Teufels bezweifelte, was hatte man dann noch für einen Grund, an die Existenz Gottes zu glauben?
Vor Johanna tat sich ein Abgrund auf, ein Höllenschlund, ein Mahlstrom. »Wenn Ihr keine Hexe seid, Schefflerin, wie könnt Ihr dann das Gegenteil zugeben? Es bringt Euch doch um die ewige Seligkeit!«
»Der Herrgott wird mir verzeihen«, antwortete die andere schlicht. »Er weiß, wer ich bin. Ob ich freiwillig oder unter der Folter den Abfall vom Glauben zugegeben habe – es ist doch gleich. Jedes Geständnis ist eine Lüge, so oder so. Ich habe nur die Qualen vermieden und meine Leidenszeit abgekürzt.«
»Ihr geht also in den Tod, obwohl Ihr unschuldig seid?« Hanna fror bei dem Gedanken. »Was ist mit Eurer Familie? Sie müssen doch annehmen, dass Ihr eine Unholdin seid!«
Die Schefflerin tat einen tiefen Atemzug. »Sie sind alle tot«, sagte sie dann leise. »Mein Mann, meine Töchter, meine Schwiegermutter. Alle verbrannt.« Plötzlich packte sie Johanna am Ärmel. »Und alle waren sie unschuldig, hört Ihr? Unschuldig! Ich weiß es einfach. Sie haben gestanden, weil sie die Marter nicht ertragen haben. Ich habe die Menschen, die ich geliebt habe, sterben sehen, einen nach dem anderen. Und jetzt ist ihre Asche in alle Winde zerstreut. Was habe ich für einen Grund weiterzuleben? Ich habe darauf gewartet, dass sie mich holen, ich wusste ja, es kann nicht lang dauern. Schließlich bin ich die Letzte, und wir besaßen Haus und Hof. Alles, was ich noch will, ist, da droben im Himmel mit den Meinen wieder vereint zu sein. Gott wird mir dazu verhelfen, daran glaube ich, so wahr ich keine Hexe bin.«
»Das wird er!« Johanna griff nach der Hand der Schefflerin. Wenn es ihn gibt, dachte sie den Satz zu Ende.
»Wenn Ihr klug seid, macht Ihr es genauso«, sagte Grete Scheffler nach einiger Zeit. »Dann erspart Ihr Euch wenigstens die Schmerzen. Und ein schnelles Geständnis wird meist damit belohnt, dass man vorher geköpft wird. Der bestmögliche Tod.«
»Ihr habt wohl recht«, flüsterte Johanna, und es schnürte ihr die Kehle zusammen. Sie versank in dumpfes Brüten, und irgendwann schlief sie ein.
Sie flog durch die weiche, sanfte Luft, weit in den sternenübersäten Nachthimmel hinein. Der Wind streichelte ihr Gesicht, und ihr langes, lockiges Haar flatterte wie eine Fahne hinter ihr her. Sie war nackt, ihre Haut glatt und weiß, die Beine um eine Grabgabel geschlungen, wie sie sie immer im Garten benutzte. Unter ihr, tief unter ihr lag die Stadt mit ihren krummen Dächern, den hoch aufragenden Kirchtürmen, dem glitzernden Band des Flusses. Um sie herum sauste und brauste es. Hei, da flogen ihr Vater, Antoni, Thea, Nachbarn und Freunde, auf Stecken und Besen, Ziegenböcken und Riesenvögeln. Eine unbändige, wilde Freude ergriff von ihr Besitz, eine fiebrige Erwartung. Ihre Augen leuchteten, ihr Atem ging schneller, je weiter sie sich von der Stadt entfernte. Schnell kam der Hauptsmoorwald näher, eine riesige schwarze Fläche, über der die Fliegenden wie Insekten schwebten. Da, eine Lichtung! Ein brennendes Feuer! Der Tanzplatz!
Langsam schraubte sich Johannas Grabgabel nach unten, senkte sich dem Boden zu. Dort schritten schon Gestalten im Reigen um die Flammen, Männer und Frauen, ihre Gesichter im flackernden Feuerschein zu schaurig schönen Grimassen verzerrt. Wer landete, mischte sich unter sie, tanzte mit, fiel in den Gesang mit ein. Auch Hanna trat in den Kreis. Sie fühlte sich frei und leicht, von Glück und Seligkeit überwältigt, breitete die Arme aus, drehte sich. Immer wilder wurde der Tanz, immer mehr Hexen kamen von überall her. Es mussten an die hundert sein, die inzwischen die Lichtung bevölkerten. Manche lösten sich aus der Gruppe, zu zweit, zu dritt, ließen sich außerhalb des Kreises im Gras nieder und kopulierten miteinander. Heiße Laute drangen an Johannas Ohr, brünstiges Stöhnen, orgiastische Schreie. Da vermischten sich nicht nur Frauen mit Männern, sondern Frauen mit Frauen, Männer mit ihresgleichen, Mensch und Tier, Mensch und Dämon. Es war unbeschreiblich! Die Musik schwoll an, wurde immer schneller und rhythmischer, die Trommeln lauter. Dann ein gellender Schrei, ein Donnern und Dröhnen: Er war gekommen, der Höllenfürst! Neben dem lodernden Feuer stand er, halb Mensch, halb Bock. Sein männliches Glied war riesig, armdick und hoch aufgerichtet. Er furzte laut und sandte einen Duft aus, der Johanna fast den Atem nahm, einen Duft wie Rosen
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