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Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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sollte und den Wächtern nach anderthalb Stunden noch nichts anzumerken ist, dann brechen wir die Sache ab und du schleichst dich morgen früh unbemerkt hinaus. Verstanden?«
    »Verstanden.«

    Kurze Zeit später stand Toni mit seinem Henkelkorb an der Tür zum Malefizhaus. Eine Feuerpfanne an der Wand sorgte für rötlich flackerndes Licht in der hereinbrechenden Dunkelheit. Zögerlich hob der Junge die Hand, dann atmete er einmal tief durch und klopfte. »Essen«, rief er.
    Drinnen rumpelte es, und einer der Wächter öffnete, ein breitschultriger älterer Mann mit graugesträhnten Haaren und schwärzlichen Zahnstummeln im Mund. »Wird auch Zeit«, brummte er, »herein mit dir, Bursch.«
    Antoni zog die Kapuze noch ein wenig tiefer und trat in die Wachstube. Drinnen hockte ein zweiter Wächter, ein junger, kräftiger Kerl mit dunklen Stoppelhaaren und kurzgeschnittenem Bart. Nach der Ähnlichkeit zu schließen, mussten die beiden Vater und Sohn sein. Der Jüngere sah kaum auf, als Toni eintrat; er reinigte gerade hingebungsvoll seine Fingernägel mit einem Messer.
    Tonis spürte sein Herz bis zum Hals klopfen wie einen Walkhammer. Würden die Knechte etwas merken? Der ganze Plan baute darauf, dass er und sein Freund gleich groß und von ähnlicher Statur waren, und darauf, dass niemand einen Essensträger genauer ansah. Außerdem war es in der Stube bis auf die kleine Herdflamme und das fahle Licht einer Tranfunzel schon ziemlich dunkel. Toni versuchte, das Zittern seiner Hände unter Kontrolle zu bringen. Wie Michel es ihm eingeschärft hatte, setzte er den Topf aufs Feuer und richtete alles andere auf dem groben Tisch in der Ecke an. Derweil hob der zweite Wächter den Deckel von der Kasserole. »Schon wieder Karnickel«, schimpfte er und verdrehte die Augen.
    »Der Hunger treibt’s rein«, erwiderte der Ältere und drückte Toni eine Münze als Bezahlung in die schwitzige Hand. »Ist was?«, fragte er.
    Toni schüttelte den Kopf, hustete und schnäuzte sich geräuschvoll in den Ärmel seines Mantels. Der Büttel wich zurück. »Häng uns bloß keinen Katarrh auf den Hals«, knurrte er. »Und sag deinem Vater, er soll uns mal was anderes schicken. Und mach die Tür gut zu, wenn du gehst.«
    Toni nickte. Michel hatte ihm erzählt, dass sie ihn jedes Mal einfach gehen ließen, ohne die Tür hinter ihm zu verschließen. Sie würden ohnehin gleich nach der Mahlzeit ihren letzten Rundgang ums Haus machen, bevor sie endgültig alles für die Nacht absperrten. Schnell griff er sich den leeren Korb und verließ die Wächterkammer, nicht ohne sich genau die Stelle an der Wand zu merken, wo die Schlüssel hingen. Er öffnete die Haustür und ließ sie gleich darauf von innen geräuschvoll ins Schloss fallen. Dann huschte er lautlos unter die Treppe, die in den ersten Stock des Gebäudes führte. Hier lagerten ein großer Haufen Lumpen, ein paar lederne Eimer und das frische Stroh für die Gefängniszellen; Michel hatte ihm gesagt, dass dies der beste Ort zum Verstecken sei. Möglichst ohne zu rascheln schob er sich langsam und vorsichtig in die hinterste Ecke und wartete. Bis hierher war alles gut gegangen.
    Er lauschte den Geräuschen aus dem Wächterzimmer, dem Klappern der irdenen Schüsseln, dem Rücken der Stühle. Die beiden Männer unterhielten sich halblaut, lachten zwischendurch, räumten schließlich das Essgeschirr weg. Toni kam die Zeit endlos vor. Irgendwann ging die Tür zur Wächterstube auf, und einer der Büttel trat in den Gang. Toni machte sich ganz klein, obwohl ihn der Wächter hinter dem Strohhaufen unmöglich sehen konnte. Der Mann stapfte geräuschvoll nach draußen, und Toni hörte, wie er neben der Tür sein Wasser abschlug. Dann drehte er offenbar eine Runde ums Haus, während der andere unter leisem Wassergeplätscher die Schüsseln spülte. Bald darauf kam er zurück, legte von innen den Riegel vor und ging wieder in die Stube.
    In der nächsten halben Stunde spielten die beiden Karten. Toni wurde immer nervöser. Er tastete in seiner Hosentasche nach dem Tütchen mit Schwefel, das er eingesteckt hatte. Ja, da war es, gefüllt mit den hellgelben, kristallinen Brocken, die man eigentlich für Schwefelbäder gegen Hautkrankheiten oder für Räucherungen verwendete. Heute würde das stinkende Zeug zu einem ganz anderen Einsatz kommen. Toni kratzte sich am Rücken. Langsam konnte er nicht mehr sitzen, und es juckte ihn überall. In seiner Nase begann es zu kribbeln. Und immer noch gab es keinen

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