Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
hausten, war ihre Musik, der Schein einer Stummelkerze ihre Festbeleuchtung. Wenn der Tag anbrach, war der schöne Traum wieder vorbei, und Cornelius ging an seine tägliche Arbeit. Sobald drunten in der Offizin die Patienten ein und aus gingen, musste Johanna mucksmäuschenstill sein. Es durfte nichts darauf hinweisen, dass außer dem jungen Arzt noch jemand im Haus war.
Anfangs hatten sie überlegt, ob es nicht besser sei, sie sofort aus der Stadt zu schaffen. Aber seit Heinrich Flocks Flucht hatte man die Torwachen verstärkt und auch am Flusshafen strengste Kontrollen eingeführt. Der Versuch, Bamberg zu verlassen, war derzeit gefährlicher, als zu bleiben. Sie hatten keine Wahl, und es war ihnen gar nicht unrecht. So konnten sie wenigstens in den Nächten zusammen sein. Und wenn man den Nachrichten glaubte, die regelmäßig eintrafen, dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Schweden kamen. In den zu erwartenden Kriegswirren würde es vielleicht einfacher werden, aus Bamberg wegzukommen. Bis dahin mussten sie einfach nur vorsichtig sein. Und vielleicht würde sogar schon vorher ein ordentlicher Prozess gegen Thea dazu führen, dass dieser Hexenwahn ein Ende nahm und sich wieder Normalität in der Stadt einstellte. So genossen Hanna und Cornelius ihre Liebe unter dem Dach, auch wenn die Gefahr der Entdeckung wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebte.
Wie jeden Tag sperrte Cornelius auch am Montagabend nach Theas Niederkunft sorgfältig die Tür des Doktorhauses ab, um dann in die Dachkammer schlafen zu gehen. Er war müde, weil man ihn schon im allerersten Morgengrauen nach Hallstadt zu einem Kranken gerufen hatte und der Weg anstrengend gewesen war. Schläfrig und zufrieden schlang er unter der Decke die Arme um Hanna und begann wegzudösen, als sich draußen auf der Straße etwas regte. Es klang wie ein hohes Jammern und Kreischen, ähnlich dem Geschrei eines Kindes, und es kam immer näher. Cornelius sprang auf, schlug hastig Licht und lief mit dem kleinen Kerzenleuchter nach unten in sein eigenes Schlafzimmer, um dort aus dem Fenster zu sehen. Hanna bekam es mit der Angst zu tun. Was ging dort draußen vor? Vorsichtig hob sie das ausgesägte Brett weg, mit dem sie jede Nacht das kleine Fenster am Giebel von innen verdeckte, und spähte hinaus.
Die Nacht war klar, vom Himmel glotzte ein fast voller gelber Mond. Es hätte des Lichts aus den Feuerpfannen und der mitgetragenen Laternen gar nicht bedurft, um zu sehen, dass die Einholer wieder einmal ihren Dienst taten. Mit lauten, schweren Schritten stapften sie über den Grünen Markt, die Eisennägel, mit denen ihre Schuhsohlen beschlagen waren, klickten metallisch auf den Pflastersteinen. Vor ihnen ging der Nachtwächter mit seinem Licht, das an einem langen Stecken baumelte. Die beiden Büttel zerrten eine kleine, schmale, weibliche Gestalt hinter sich her, die sich erbittert wehrte und wie von Sinnen weinte und kreischte. Ein Mädchen, ein Kind noch, dachte Johanna, o mein Gott. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Die Büttel rissen fluchend an dem Seil, das zu den gefesselten Händen ihrer Gefangenen führte; sie wollten keinen Auflauf, keine Zeugen. Es war in letzter Zeit schon vorgekommen, dass die Leute sie als Handlanger der Hexenkommissare beschimpft, ja sogar angespuckt hatten. Deshalb nahmen sie die Verhaftungen inzwischen nur noch nachts vor. Aber diesmal ging die vermeintliche Hexe nicht stumm und starr vor Entsetzen mit, sondern wehrte sich mit der Kraft der Todesangst. Und sie schrie in ihrer Panik die ganze Stadt zusammen. »Herrgott, halt endlich dein Maul, du Biest!«, brüllte schließlich einer der Einholer. »Vermaledeite Drud, elende! Dir hilft ja doch alles nichts, du musst mit!« Er zog wütend an dem Strick, und das Grüppchen schaffte noch ein paar Schritte über den Grünen Markt bis nahe ans Doktorhaus. Inzwischen war ein Licht nach dem anderen in den Häusern angegangen, überall steckten die Leute ihre Köpfe aus den Fenstern, irgendjemand schimpfte laut. Da, jetzt war die Gefangene hingefallen und wurde ein Stückchen übers Pflaster geschleift. Dabei schrie sie immer noch wie am Spieß. Und dann verlor sie das Tuch, das sie um den Kopf getragen hatte. Hanna sah das helle, lange Haar und schlug die Hand vor den Mund: Es war Maria Dietmayer.
Der kräftigere der beiden Einholer bückte sich schließlich, packte das zierliche Mädchen und warf es sich über die Schulter. Dann trug er die Strampelnde schnell weiter, bis
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