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Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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trockenem Holz der Scheiterhaufen aufgeschlichtet worden, aus dessen Mitte mehrere aus Eisen geschmiedete Pfähle wie mahnend erhobene Finger in den Himmel ragten. Ein Holzzaun markierte den Bereich um die Brandstatt, der für die Obrigkeit, die Geistlichkeit, Henker und Opfer reserviert war.
    Hinter diesem Zaun stand dichtgedrängt die Menge der Schaulustigen. Es war noch sehr früh am Morgen, an diesem Samstag vor Exaudi, denn nach altem Herkommen sollte eine Hinrichtung bis zwölf Uhr mittags vollstreckt sein. In der Nacht hatte es geregnet, und der freie Platz um den Scheiterhaufen war schlammig. Einige der Leute hatten sich Trippen unter die Schuhe geschnallt, was außerdem den Vorteil hatte, dass sie dadurch ein Stückchen größer wurden und besser sehen konnten.
    Für das Gericht, die Fragherren und Schöffen, die Malefizkommissare und die Pfaffen hatte man eine lange Bank bereitgestellt und davor aus Brettern und Böcken einen Tisch aufgerichtet. In der Mitte saß der Oberschultheiß, der den Blutbann in eigener Person ausübte; vor ihm lag quer der weiße Richterstab. Links und rechts von ihm hatte man die Schöffen postiert, die mit ihrer Wehr, der Saufeder, erschienen waren. Sie hatten ihre Spieße hinter sich in den weichen Boden gerammt. Natürlich würde hier keine echte Verhandlung mehr stattfinden; das Urteil war längst gefällt. Aber es musste in einem öffentlich durchgeführten Ritual verkündet werden, um rechtsgültig zu sein.

    Johanna und ihr Verlobter standen ganz vorne am Zaun. Ihr war es nicht recht gewesen, aber Schramm hatte unbedingt einen guten Platz ergattern wollen und sie waren deshalb schon früh gekommen. Hans hatte lässig den Arm um ihre Schulter gelegt, er war ausgesprochen guter Dinge. Mit zusammengekniffenen Augen spähte er zum Galgen hinüber. »Habt ihr in der Apotheke eigentlich auch Alraune?«, fragte er.
    Johanna nickte. »Natürlich, im Giftschrank. Bei uns heißt sie allerdings Mandragora und wird als Beimischung zu Rattengift verwendet. Warum fragst du?«
    »Na, weil sie da drüben unter dem Galgen vermutlich wächst. Entspringt dem Samen eines Gehenkten, so sagt man doch.«
    »Stimmt aber nicht«, gab die Apothekerstochter zurück. »Ja, man erzählt sich allerlei Sachen über die Alraune. Dass sie schreit, wenn man sie ausreißt. Und dass derjenige wahnsinnig wird, der das hört. Und dass man deshalb die Wurzel an den Schwanz eines Hundes binden und dann weglaufen soll, damit das Tier sie ausreißt, wenn man nicht mehr dabei ist.«
    »Genau. ›Der grabt Alrauna unterm G’richt / lauft weg, dass er’s hört schreien nicht‹ – so heißt es doch.«
    »Mein Vater sagt, das ist blühender Unsinn, und er muss es wissen. Er hat nämlich alle Kräuterbücher studiert. Außerdem wächst die Mandragora bei uns gar nicht. Wir bekommen sie einmal im Jahr von einem Kräuterkrämer, und der hat sie aus Ländern im fernen Süden.«
    Schramm wirkte ein bisschen enttäuscht. Dann packte er Johanna am Ellbogen. »Schau! Da kommen sie!«
    Die Menge hatte eine Gasse freigemacht, durch die nun langsam ein Karren rollte. Das Gefährt wurde von einem fahlfarbenen Ackergaul gezogen, der mit hängendem Kopf schwerfällig Huf vor Huf setzte, als wolle er seine Last nur widerwillig voranbringen.
    Auf dem Karren kauerten fünf elende Gestalten zusammen, alle in graue Armsünderkittel gekleidet. Sie waren mit Ketten gefesselt, verdreckt, das Haar wirr. Zwei von ihnen konnten sich kaum aufrecht halten und wurden von den anderen gestützt; eine der Frauen weinte hemmungslos und verzweifelt. Ihre Hände und Füße waren blutverkrustet, die Lippen zerbissen, die Augen wie hohle Löcher. Hinter dem Karren marschierten bis an die Zähne bewaffnet zwei Stadtknechte, als ob es noch nötig sei, diese gequälten Kreaturen von der Flucht abzuhalten.
    Johanna schloss beim Anblick des Karrens entsetzt die Augen. Wie alle anderen Leute wusste sie ja, dass die Hexen gefoltert wurden, aber was die Folter aus diesen Menschen machte, das sah sie nun zum ersten Mal.
    Durch die murmelnde Schar der Zuschauer bahnte sich der Schinderkarren einen Weg bis vors Gericht. Die Stadtknechte holten die Verurteilten herunter, schleppten die, die nicht mehr gehen konnten, vor die Richterbank, wo sie in sich zusammensanken.
    Johanna hätte hinterher nicht mehr sagen können, wie lange das Verkünden der Urteile gedauert hatte. Jedes einzelne Geständnis wurde vorgetragen und musste bestätigt werden, fünf Mal brach der

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