Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Jetzt könnt ihr euren Weg nicht mehr verfehlen. Er führt vor die himmlische Richtstatt, dahin, wo euch Gnade zuteil werden wird. Also sprecht mit mir das Gebet des Herrn.«
Laut deklamierte er das Vaterunser, und die Verurteilten fielen ein. Der Knecht lallte.
Dann schlug Kircher das Kreuz über den fünf Gestalten. »Gehet ein zum barmherzigen Herrn«, flüsterte er.
Der Henker stieß die Fackel ins Holz. Fauchend loderte das Feuer auf, und der Scheiterhaufen begann lichterloh zu brennen. Die Menge seufzte auf wie ein einziger Mann. Durch die Flammen und den Rauch konnte man die Menschen auf der Brandstatt nicht mehr erkennen, Johanna nahm nur noch Bewegungen inmitten des Infernos wahr, ein Zucken und Stoßen, und sie hörte durch das wütende Prasseln und Toben des Feuers die entsetzlichen, heiseren Schreie der Verbrennenden.
»Jetzt bekommen sie, was sie verdient haben«, sagte Schramm und drückte ihre Hand. In seiner Stimme lag etwas wie Triumph. Johanna löste langsam ihre Finger aus seinen. O ja, die Hexen hatten den Tod verdient – dennoch konnte sie die Zufriedenheit ihres Verlobten nicht teilen. Sie schaute ins Gesicht ihres Vaters, das wie versteinert wirkte. Und dann fiel ihr Blick auf Cornelius, der ein Stück weit von ihr entfernt in der Menge stand. In seiner Miene spiegelten sich Entsetzen und Abscheu. Als ob er gespürt hätte, dass sie ihn ansah, drehte er sich zu ihr hin. Schnell sah sie zu Boden, und als sie wieder aufschaute, war der junge Arzt verschwunden.
Irgendwann, Johanna schien es wie eine Ewigkeit, hörten die Schreie und die Zuckungen auf dem Scheiterhaufen auf, und das Feuer begann, ruhiger zu brennen. Der schwarze Rauch wurde weniger und gab den Blick frei auf das, was einmal lebende Menschen gewesen waren. Flammen züngelten an den verbrannten Gestalten, die bizarr verkrümmt an den Eisenstangen hingen. Sie leckten an Beinen, Armen, Köpfen, fraßen sich durch Fleisch und Knochen. Der Sohn des Henkers legte Holz nach.
Fünf Stunden hielt man das Feuer am Brennen, bis nur noch ein großer Haufen Asche übrig war. Die Ketten baumelten leer an den rotglühenden Pfählen, nur in einer der Schellen hing etwas, was einmal die Knochen einer Hand gewesen waren. Der Scharfrichter wartete das Erkalten der Brandreste ab, dann schaufelte er alles in einen großen, mit Sackleinen ausgelegten Korb. Am Abend, als ein frisches Lüftchen aufkam, ließ er die Asche mit dem Wind auf dem brachen Feld neben dem Brandacker verrieseln. Keine Spur sollte bleiben von den Abtrünnigen, die sich dem Bösen verschrieben hatten.
Zweites Buch
Bamberger Dom, Sonntag Exaudi 1627
Soch über der Stadt thronte auf dem steilen Berg aus Sandstein der mächtige gotische Kaiserdom, dessen vier hohe Türme die Silhouette der Stadt prägten. Schon vor Hunderten von Jahren hatte hier der heilige König Heinrich eine Kirche weihen lassen. Diese und auch ihr Nachfolgebau waren schon früh Opfer von Bränden geworden, sodass in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts der Dom so großartig gebaut wurde, wie er heute da stand. Die Schauseite des Gotteshauses mit dem halbrunden Georgenchor war nach Osten gegen das Stadtzentrum hin gewandt, hier lag auch über breiten Stufen die Adamspforte mit ihren unruhigen Leibungen in der Form normannischer Zackenbänder. Sie diente als Auslass für Büßer, die – wie Adam aus dem Paradies – aus der Kirche verwiesen worden waren. Ihr Gegenstück, die Gnadenpforte mit ihrem reich verzierten Säulengewände unter dem romanischen Rundbogen, führte ins nördliche Seitenschiff. Wie klein kam sich der Mensch vor, betrat er durch eines dieser Portale das lichtdurchflutete Langhaus, dessen spitz zulaufendes Gewölbe hoch droben an den Himmel zu stoßen schien.
Den ganzen Morgen schon waren die Leute von nah und fern auf den Domberg geströmt, obwohl ein unangenehmer, scharfer Westwind fegte. Sonst verteilten sich die Bamberger Bürger zur Sonntagsmesse auf die vielen Kirchen der Stadt, heute aber kam alles im Dom zusammen. Die Aufregung nach dem gestrigen Hexenbrand war groß, vor allem auch, weil am frühen Abend wieder acht Besagte von den Einholern in den Turm gebracht worden waren. Die Stadt fand keine Ruhe.
Johanna stand in ihrem Sonntagsstaat, einem schweren schwarzen Samtrock mit geknöpftem Leibchen und bauschiger Spitzenbluse, vor dem Ostchor und wartete auf ihre Schwester und Veronika Junius, um mit ihnen gemeinsam zu den Frauenbänken zu gehen. Sie hatte unter
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