Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
dem wollenen Kopf- und Schultertuch die langen Zöpfe im Nacken gefasst und aufgesteckt. Neben ihr hockte mit weit aufgerissenem Maul eine der beiden steinernen »Domkröten«. Lächelnd dachte Johanna an die alte Legende, die ihr einst ihr Vater erzählt hatte: »Der Baumeister des Westchors, ein ehrgeiziger Mensch, hatte dem Teufel seine Seele versprochen, wenn er ihm half, schneller mit dem Bau fertig zu werden als der Steinmetz auf der anderen Seite. Daraufhin setzte der Teufel zwei Kröten ins Fundament des Ostchors, um dessen Fertigstellung zu verzögern. Die Bamberger jedoch entdeckten die Teufelskreaturen mit Gottes Hilfe. Zur Mahnung an den versuchten Betrug setzte man später zwei Kröten als Steinfiguren vor den Chor.« Eigentlich, so hatte ein alter Priester Johanna einmal aufgeklärt, waren die Figuren einst Löwen gewesen, aber der Stein war so stark verwittert, dass man die ursprüngliche Gestalt nicht mehr erkennen konnte.
Johanna grüßte nach allen Seiten Freunde, Bekannte und Kunden der Apotheke, die an ihr vorbei in den Dom eintraten. Der Rat war geschlossen erschienen, ebenso die Vertreter der Gilden und Zünfte. Hans Schramm nickte ihr kurz zu, während er zusammen mit anderen Ratsangestellten das Kirchenschiff betrat, und auch Cornelius hatte sie schon gesehen. Sonst gingen er und seine Mutter wie auch die Apothekersfamilie in die benachbarte Martinskirche, aber heute hatte sich sogar die Weinmännin in einer Sänfte hertragen lassen.
Endlich kam Dorothea atemlos gelaufen, gefolgt von der Bürgermeisterstochter, und die drei jungen Frauen drängten sich in die Kirche. In den Frauenbänken war schon alles besetzt, und so fanden sie nur noch einen Stehplatz an einem der mächtigen Pfeiler beim Georgschor. Über ihnen thronte auf einem Podest hoch zu Ross die lebensgroße Statue eines schönen Ritters mit halblangen Locken, dessen Krone ihn als Herrscher auswies. In edler Haltung, den stolzen Blick in die Ferne gerichtet, saß er fest im Sattel. Uralte Reste von Malereien wiesen das Pferd als Apfelschimmel aus, die Hufeisen waren noch mit einem bröckeligen Zinnüberzug versehen. Nicht einmal die Alten wussten mehr, wen dieses Kunstwerk darstellte, und so nannte man ihn schlicht den »Reiter«.
Kaum hatten die Frauen ihre Plätze an der Säule eingenommen, da begann auch schon der Einzug des Domkapitels. Es wurde still, als die schwarzgekleideten Gestalten durch das Fürstenportal eintraten und in feierlich langsamem Tempo durch das Mittelschiff schritten, gefolgt von Weihbischof Förner in festlichem Ornat und Mantel. Hinter ihm ging als Letzter der Fürstbischof mit Mitra und Bischofsstab. Er trug eigens für diesen Tag das herrlichste Pallium, das die Diözese besaß, den leuchtend blauen, goldbestickten »Sternenmantel«, der, wie es hieß, einst König Heinrich gehört hatte. In der Apsis angekommen, nahmen die Domkapitulare im Chorgestühl Platz, während Fuchs von Dornheim sich auf einen thronähnlichen Sessel sinken ließ, der ganz vorne neben dem Altar stand. Die Messe begann.
Johanna fand es wie jedes Mal erhebend, einen Gottesdienst im Dom mitzuerleben. Ehrfürchtig sah sie in Richtung des herrlichen Hochgrabs, das die sterblichen Hüllen des Kaiserpaars Heinrich und Kunigunde barg. Hier fühlte man sich den beiden Heiligen nah, die einst das Bistum Bamberg gestiftet hatten. Und auch ein Papst lag hier begraben: Clemens II., der einzige Kirchenvater, der in deutschen Landen bestattet worden war.
Während auf Lateinisch die Messe zelebriert wurde, hing Johanna ihren Gedanken nach. Erst als Friedrich Förner die kleine Kanzel in der Mitte des Kirchenschiffes bestieg, wurde sie wieder aufmerksam. Sie reckte den Hals und beobachtete, wie der Weihbischof bedächtig sein Manuskript vor sich ausbreitete. Förner war als begnadeter Prediger bekannt; während seiner Zeit am Collegium Germanicum in Rom hatte man ihm deshalb die Aufgabe des ständigen Predigers für die päpstliche Schweizergarde übertragen. Jetzt reckte er beide Arme zum Himmel und erhob die Stimme.
»Meine Brüder und Schwestern, die Zeit ist gekommen, in der sich erweisen muss, ob unser Herr Jesus in dieser Stadt noch eine Heimat hat. Der Dreschflegel des Bösen donnert auf uns alle hernieder, dass ein Heulen und Zähneklappern ist. Weh euch allen, die ihr auf der Erde wohnt! Denn der Teufel kommt zu euch hinab und hat großen Zorn und weiß, dass er wenig Zeit hat! Luzifer, der Höllenfürst, will unser christliches
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