Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
attackierte die Stadt! Und sie hatte Mitleid mit diesen armen Gestalten auf dem Scheiterhaufen gehabt! Dumm war sie gewesen! Genau das war die Strategie des Höllenfürsten, seine Verbündeten unschuldig erscheinen zu lassen, damit sie womöglich aus Gnade leben durften …
»Nur immer zum Feuer mit allem Teufelsgesindel!«, schrie Förner weiter; von seinen Lippen sprühten winzige Speicheltröpfchen auf die unter der Kanzel sitzenden Menschen. »Wo die Obrigkeit lässig, muss das Volk nach Kohlen und Feuer rufen, dieweil die Zahl der Unholden, wie man aus den Prozessen genugsam in Erfahrung bringt, von Tag zu Tag immer größer wird und zunimmt. Sie vermehren sich auf der Erde wie Würmer in einem Garten! Keiner schütze einen Bruder, einen Freund! Keiner schütze eine Mutter, eine Tochter! Helft, helft alle zusammen, verbündet euch gegen den Satan! Sonst wird alles und auch wir in Verdammnis versinken!«
Förner ließ schweratmend die Arme sinken. Der Chor setzte ein.
Unter den Menschen im Dom machte sich lähmendes Entsetzen breit. Die Angst vor dem Unheimlichen hatte jeden Einzelnen gepackt. Am Ende der Messe wagte niemand, ein lautes Wort zu sagen.
»Lasst uns gehen, mir ist kalt«, raunte Dorothea. Die drei jungen Frauen zogen ihre Schultertücher fester und strebten mit der Menge ins Freie.
Auch das Domkapitel verließ schließlich die Kirche, gefolgt von Förner und dem Fürstbischof. Vor dem Fürstenportal löste sich die Formation der Geistlichen auf. Die Domherren gratulierten dem Weihbischof zu seiner gelungenen Predigt. Förner sah zufrieden aus, ein kleines, beinahe spitzbübisches Lächeln umspielte seine Lippen. Auch Fuchs von Dornheim wirkte zuversichtlicher als noch in den letzten Tagen. Eben wollte er die vier Knechte heranwinken, die mit seiner Sänfte warteten, als ein vornehm gekleideter älterer Herr mit einer Verbeugung auf ihn zutrat. »Auf ein Wort, Eminenz!«
Dornheim wandte sich um. »Ah, Doktor Haan! Ich hatte Euch drinnen gar nicht bemerkt. Was sagt Ihr zu der Predigt?« Der Fürstbischof hielt seinem Kanzler die beringte Hand zum Kuss hin.
»Darüber wollte ich gerade mit Euch reden, wenn es Euch beliebt. « Haan wirkte angespannt. Er war ein außergewöhnlich gut aussehender Mann mit scharfgeschnittenen, aristokratisch anmutenden Zügen. Das weiße glatte Haar hing ihm in die Stirn und beschattete ein Paar wache hellgraue Augen. Der Kanzler war als Jurist überall geschätzt und bei den Bürgern wegen seines Gerechtigkeitssinnes und seiner freundlichen Art äußerst beliebt.
Dornheim legte den Kopf schief. »Nun gut, lieber Haan, lasst uns ein Stück Wegs gemeinsam gehen.« Er gab seinen kostbaren Mantel in die Hände eines Dieners und legte stattdessen einen dicken, pelzverbrämten Umhang um. Dann ergriff er des Kanzlers Ellenbogen und schlug die Richtung zum Geyerswörth ein.
»Eminenz«, begann der Kanzler und suchte vorsichtig nach Worten, »ich teile die Ansicht des Weihbischofs zu dieser Hexenaffäre nicht ganz … «
Der Fürstbischof zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts.
»Seht Ihr«, fuhr Haan fort, »meine Befürchtung – und die des Rats im Übrigen auch – ist, dass die Menschen unter der Folter womöglich aus Schmerz Dinge gestehen, die nicht der Wahrheit entsprechen. Es sind schließlich fast alles schwache Frauen.«
Dornheim lächelte nachsichtig. »Natürlich sind es Frauen, mein Lieber. Die Weiber sind in leiblichen Dingen unersättlich und im Glauben schwach, deshalb kann der Teufel erfolgreich um sie buhlen. Das lateinische ›femina‹ kommt ja bekanntlich von ›fides‹ und ›minus‹, also: wenig Glaube. Schon der Heilige Thomas von Aquin sagt, die Zeugung des Weibes geschieht nur dann, wenn der Samen des Mannes schlecht ist. Das Weib ist nichts als ein verstümmelter Mann und deshalb nicht in der Lage, sich gegen die teuflische Verführung zu wehren.«
»Aber genau diese Schwäche würde ja auch bewirken, dass sich ein Weib nicht gegen die Folter wehren kann … «
Fuchs von Dornheim schüttelte nachsichtig den Kopf. »Ihr seht das ganz falsch, lieber Haan. Nicht die Weiber selber leiden Folterqualen, sondern der Teufel, der in ihnen steckt. Erst wenn er die Tortur nicht mehr erträgt und aus dem Körper gefahren ist, kann die Gemarterte endlich bekennen. Das ist die übereinstimmende Auffassung aller großen Theologen.«
Haan gab sich noch nicht geschlagen. »Aber könnte es nicht doch sein, dass die gestandenen Verbrechen nur
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