Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Haselbusch zu, in dessen Zweigen ein Mistelnest hing. »Du, da ist ein Schatz vergraben«, rief sie Antoni aufgeregt zu. »Der steckt so tief in der Erde, wie die Mistel hoch wächst.«
»Blödsinn«, brummte Toni, die Hände in den Hosentaschen vergraben. »Wie kommst du bloß dauernd auf solches Zeug?«
»Mein Großvater weiß das alles«, gab die Kleine streitbar zurück. »Und noch viel mehr. Schau, das Loch in dem Baumstamm da drüben! Da wohnt ein Specht!«
»Na und?«
»Den braucht man, um die Springwurz zu kriegen. Weil keiner weiß, wo die wächst. Aber wenn man einem Specht das Nest in einem hohlen Baum mit Lehm verschmiert, dann bringt er die Springwurz, um damit das Loch wieder zu öffnen. Man muss aber vorher unten ein Feuer machen, dann lässt er die Wurz aus Angst fallen.«
Toni wurde neugierig. »Wofür braucht man denn das Zeug?«
»Dummerjan, du weißt ja gar nichts! Mit der Springwurz springt jedes Schloss und jede Tür auf! Und wenn man sie in der rechten Tasche trägt, macht sie sicher gegen Stich und Kugel!« Mariele war sichtlich stolz auf ihr Wissen.
»Und woher will dein Großvater das alles gehört haben?« Toni grunzte verächtlich.
»Von seiner Ahn.« Die Kleine legte den Finger an die Lippen und winkte Toni ganz nah an sich heran. »Die war nämlich eine Drud«, flüsterte sie, »droben in Weismain.«
»Hat man die auch verbrannt?«, wollte Antoni wissen. Mariele winkte ab. »Nein, die ist, glaub ich, einfach so gestorben.«
Während die beiden redeten und Johanna etwas abseits nach einer Stelle suchte, an der immer die Blutwurz wuchs – ein beliebtes Mittel gegen Durchfall und Ruhr –, raschelte es, und Hufschlag wurde hörbar. Johanna spähte den Hohlweg entlang, der zum Heiliggrabkloster führte. Als Erstes sah sie ein großes graues Pferd, und dann erkannte sie seinen Reiter. Hastig zog sie die Röcke nach unten, bis sie wieder die Knöchel bedeckten. Es war ungehörig, vor einem Mann die Waden zu zeigen. Cornelius winkte und trabte heran.
»Ja, der Herr Doktor! Was machst du denn hier draußen?«
Er zügelte seine Stute und lachte. »Bei den Dominikanerinnen vom Heiligen Grab sprießen die Warzen. Du weißt ja, wie ansteckend das sein kann. Ich hab ihnen eine Schöllkrauttinktur gebracht und ein paar von den Dingern weggeschnitten. Mal sehen, ob’s hilft!«
»Nimm ein Stück Fleisch, reib’s über die Warze und vergrab’s im Wald. Wenn’s verfault ist, fällt die Warze ab. Das sagt mein Großvater.« Mariele war aus einem Gebüsch aufgetaucht, gefolgt von Antoni.
»Soso«, meinte Cornelius und stieg ab. »Dann hat dir dein Großvater bestimmt auch gesagt, dass es gefährlich ist, in den Wald zu gehen. Wenn man nämlich aus Versehen auf die Irrwurz tritt, dann verläuft man sich und findet nie wieder heim!«
Johanna warf im Scherz einen kleinen trockenen Kiefernzapfen nach dem jungen Arzt. »Erzähl dem Kind doch nicht noch mehr Unsinn, als es ohnehin daheim hört«, grinste sie. Aber die Kleine hatte es trotzdem mit der Angst bekommen. »Ich will heim«, sagte sie kleinlaut. »Gehst du mit, Toni?«
Der Junge zuckte mit der Schulter. »Meinetwegen. Mir ist sowieso schon langweilig.«
Johanna nickte. Der Weg in die Stadt lag direkt vor ihnen, und sie würden nicht lange brauchen. »Na, lauft zu. Ich brauch noch ein bisschen Odermennig und Fieberklee, dann komm ich auch.«
Nachdem die Kinder weg waren, gingen Johanna und Cornelius ein Stück gemeinsam. Seit Dorotheas Hochzeit hatten sie sich nur gesehen, wenn der junge Arzt in die Apotheke kam, und Johanna war das ganz recht gewesen. Sie hatte immer noch ein schlechtes Gewissen wegen der Tanzerei, und sie spürte auch, dass es kein Gut tat, Cornelius öfter zu treffen. Es brachte sie zu sehr aus dem Gleichgewicht, wenn sie ihn mit ihrem Verlobten verglich.
Cornelius sah sie verstohlen von der Seite her an. Er hatte sich oft gefragt, wie lang die Zöpfe wohl inzwischen sein mochten, an denen er als Bub so oft gezogen hatte, aber bisher hatte Johanna das Haar immer aufgesteckt getragen. Heute jedoch hing ihr dicker Zopf bis fast zu den Hüften, und er fühlte einen fast unwiderstehlichen Drang – nicht etwa, daran zu zupfen, sondern ihn fest um seine Hand zu wickeln.
»Fieberklee gibt’s am Wasser«, meinte er schließlich. »Wir könnten zum alten Froschtümpel in der Bärensenke gehen.«
»Wir?«
»Na, ich kann dich doch schließlich nicht allein im Wald lassen, jetzt wo die Kinder weg sind. Schließlich
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