Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
ist der Hauptsmoorwald ja Hexentanzplatz – man weiß nie, was da geschehen kann.«
Johanna seufzte. »Ich hab’s auch schon gehört. Sie fliegen nachts aus und treffen sich hier, tun einen Tanz Rücken an Rücken und beten den Teufel in Gestalt eines Ziegenbocks an. In der Stadt redet man ja von nichts anderem mehr. Eigentlich müsste es mir ja unheimlich hier sein, aber ich bin so froh, einmal vor die Mauern zu kommen … «
Cornelius nickte. Seit Monaten musste er nun schon zu den Untersuchungen erscheinen, um seine Meinung zu Hexenmalen und Teufelszitzen abzugeben, und er hasste es. Die Hexenkommissare hatten jedes Mal etwas gefunden, und so hatte er sich schließlich bereit erklärt, die Leibesvisitationen selber zu machen. Das gab ihm die Möglichkeit, eine Narbe, einen Fleck oder eine Warze einfach zu übersehen und wenigstens damit den Delinquenten die Möglichkeit, ihre Unschuld zu beweisen, nicht zu verbauen. Allerdings hatte bisher niemand die Folter ohne Geständnis überstanden.
»Mir geht’s genauso«, sagte er. »In Bamberg herrschen nur noch Angst und Misstrauen. Früher hatten die Leute Rückenschmerzen, jetzt ist’s ein Hexenschuss. Jede Krankheit ist plötzlich Teufelswerk, jedes Missgeschick angehext. Jeder beäugt den anderen. Da tut’s gut, einmal aus der Stadt zu kommen. Es ist wie Aufatmen.«
Unter dem Blätterdach war es angenehm kühl, und die beiden jungen Leute genossen den kurzen Spaziergang zum Teich. Cornelius hatte Johanna Korb und Huckelkieze abgenommen, dafür führte sie sein Pferd am langen Zügel hinter sich her. Beim Tümpel banden sie die Stute an einen Baum und setzten sich ans Ufer. Die Sonnenstrahlen brachen durch die verkrüppelten Äste der alten Kiefern und zeichneten schräge goldene Bänder bis zur Teichoberfläche. Frösche quakten und hüpften von den Blättern der Wasserhyazinthe ins bräunliche Nass. Am Ufer entlang schwamm Entengrütze, Schilf reckte seine langen Stängel zum Licht.
»Ich hab fast vergessen, wie schön es hier ist«, murmelte Cornelius und blinzelte in die Sonne. »Früher sind wir Buben nach der Schule oft hierher gekommen und haben darauf gewartet, dass die Fee des Teiches uns das Zauberschwert entgegenreckt wie bei der Sage vom König Artus und seiner Tafelrunde. Aber dann haben wir lieber doch Frösche aufgeblasen … «
Johanna schüttelte sich. »Ihr Quälgeister! Buben sind doch garstig.«
»Na, dafür habt ihr Mädchen Flöhe gesammelt und uns in die Hemdkrägen gesteckt. Und ihr habt uns bei den Eltern verpetzt, wenn wir heimlich hinter der Mauer vom Siechhaus Branntwein getrunken und dazu geklaute Küchlein gegessen haben.«
Sie lachten. »Mmh, Küchlein!«, rief Johanna. Ihr Magen machte sich mit einem kleinen Knurren bemerkbar – seit dem Frühstück hatte sie nichts mehr gegessen. Cornelius sprang auf, holte einen leinenen Beutel aus der Satteltasche und brachte daraus zwei kleine Käselaibe, einen Hefezopf und einen Topf Honig zum Vorschein.
»Die Nonnen haben mich fürstlich entlohnt«, grinste er.
Johanna ließ sich die Leckereien der Dominikanerfrauen schmecken und trank dazu klares kaltes Wasser aus der Quelle, das ihr der junge Arzt in seinem zinnenen Reisebecher holte. Dieser Nachmittag, dachte sie, war der schönste, den sie seit langem verbracht hatte. Wie unbeschwert sie mit Cornelius sein konnte, und wie schnell mit ihm die Zeit verging.
Endlich stand sie auf und wischte die Brösel von ihrem Rock. Sie suchten gemeinsam den Fieberklee mit seinem dicken Wurzelstock und den gezähnten Blättern, die oben grün und unten grau waren.
»Schau, er blüht sogar noch! Da hat er die meiste Kraft!« Sie schnitt die Blätter und ließ dabei gewissenhaft die langen gelben Blütendolden stehen.
»In Italien nimmt man die Blüten zum Färben«, erzählte Cornelius. Er pflückte eine davon und überreichte sie Johanna mit einer seiner typisch übertriebenen welschen Verbeugungen. Johanna nahm sie und steckte sie ans Mieder.
»Sag, was ›Blume‹ heißt!«
»Il fiore.«
»Und ›gelb‹?«
»Giallo.«
»›Baum‹?«
»L'albero.«
»›Wald‹?«
»Il bosco.«
»›Wir müssen jetzt nach Hause gehen‹?«
»Dobbiamo … « Er hielt lachend inne. »Du hast recht, es geht schon auf die Abendessenszeit zu. Komm, du kannst auf Rosalba reiten.«
»O nein, das tu ich ganz bestimmt nicht!« Sie wehrte mit beiden Händen ab. »Ich bin noch nie auf einem Pferd gesessen. Die sind so riesig und haben einen so großen
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